Medizin
Nr. 2 • Februar 2013
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Pathophysiologisches
Konzept
Die gehäufte Prävalenz der arteriellen
Hypertonie im Rahmen des Diabetes
legt eine enge Verbindung zwischen
den beiden Erkrankungen nahe. Eine
zentrale Rolle spielt in diesem Zusam-
menhang die viszerale Adipositas, die
zur Entwicklung des Diabetes und der
arteriellen Hypertonie führen kann.
Bei schlanken Personen wird der Blut-
druck vornehmlich durch einen
Anstieg des peripheren Widerstands
vermittelt. Bei Adipositas kommt es
durch Dysregulation des Renin-Angio-
tensin-Aldosteron-Systems (RAAS)
sowie des sympathischen Nerven-
systems zu einer Erhöhung des Herz-
minutenvolumens mit konsekutiver
Erhöhung des Schlagvolumens, der
ventrikulären Füllung und der Herz-
frequenz (Abb. 1).
Bei Volumenmangel und verminder-
ter Natrium-Rückresorption wird
Renin von der Niere freigesetzt. Renin
wandelt Angiotensinogen in Angio-
tensin I um, das durch das Angioten-
sin-Converting-Enzym (ACE) zu
Angiotensin II wird. Letzteres führt
unter anderem zu vermehrtem Durst-
gefühl, Vasokonstriktion und gestei-
gerter Freisetzung von Aldosteron, das
konsekutiv die Natriumrückresorpti-
on und somit das intravasale Blutvo-
lumen steigert. Bei Adipositas sind die
Aldosteronspiegel erhöht, bedingt
durch eine vermehrte Angiotensino-
gen-Bildung in den Adipozyten [25].
Bei Adipösen scheint die gesteigerte
Fettsäureproduktion die Aldosteron-
produktion unabhängig von Renin zu
stimulieren [28]. Ferner ist die Aktivi-
tät des sympathischen Nervensystems
(SNS) bei Adipositas gesteigert, mit
wesentlicher Beeinträchtigung der
druckvermittelten Natriurese und
vermehrter Freisetzung von Renin,
was letztendlich ebenfalls zu Volu-
men- und Herzzeitminutenvolumen-
anstieg führt. Zudem kann eine Akti-
vierung des SNS zur vermehrten
Angiotensinogen-Expression im Fett-
gewebe führen. Angiotensinogen II ist
im Gegenzug dazu in der Lage, das
SNS weiter zu aktivieren, was die Ent-
stehung eines Circulus vitiosus
begünstigt [24].
kurzgefasst
Bei Diabetes und arterieller
Hypertonie führt die viszerale Adipo-
sitas über eine Dysregulation des
Renin-Angiotensin-Aldosteron-Sys-
tems und des sympathischen Nerven-
systems zu einer Erhöhung des Herz-
minutenvolumens und damit des
arteriellen Blutdrucks.
Mikro- und makrovasku-
läre Komplikationen
Die Koexistenz von Diabetes und arte-
rieller Hypertonie ist in einem hohen
Maße mit dem Risiko für die Entwick-
lung renaler und anderer Endorgan-
schäden behaftet und erhöht dadurch
die kardiovaskuläre Morbidität und
Letalität. Zu den mikrovaskulären
Komplikationen zählen Folgeschäden
an Niere, Auge und peripheren Ner-
ven. Die Inzidenz der diabetischen
Nephropathie steigt und betrifft der-
zeit ca. 20-30 % aller Diabetiker. Die
arterielle Hypertonie gilt hierbei
unter anderem als entscheidender
Faktor, der die Entwicklung einer dia-
betischen Nephropathie beschleuni-
gen kann. Als Marker für die Nieren-
schädigung wird eine Mikroalbumi-
nurie (30-300 mg Albumin im 24h-
Urin) herangezogen; sie gilt als Indi-
kator für ein erhöhtes kardiovaskulä-
res Risiko [4]. Die diabetische Retino-
pathie ist die häufigste mikrovaskulä-
re Komplikation und betrifft langfris-
tig 60-80 % aller Diabetiker. Sie wird
durch die arterielle Hypertonie
begünstigt, und Interventionsstudien
konnten zeigen, dass eine intensivier-
te Blutdruckeinstellung die Notwen-
digkeit von Laserbehandlungen signi-
fikant vermindert [2]. Die diabetische
Neuropathie tritt infolge eines Diabe-
tes ohne andere Ursachen auf. Die
arterielle Hypertonie spielt pathophy-
siologisch keine gesicherte Rolle.
Neben den mikrovaskulären Kompli-
kationen haben Patienten mit Diabe-
tes ein erhöhtes Risiko für die Entste-
hung makrovaskulärer Komplikatio-
nen. Dies wird einerseits durch die
bestehende Insulinresistenz bedingt,
die per se als unabhängiger Risikofak-
tor für kardiovaskuläre Ereignisse gilt
[23]. Andererseits spielen die mit dem
Diabetes assoziierten Risikofaktoren
eine wichtige Rolle. So führt insbe-
sondere die Koinzidenz von Diabetes
und arterieller Hypertonie zu einer
deutlichen Risikopotenzierung mit
konsekutiver Vervierfachung des kar-
diovaskulären Letalitäts- und Morbi-
ditätsrisikos [1]. Entsprechend bele-
gen klinische Studien (UKPDS, HOT
Studie) die Reduktion kardiovaskulä-
rer Ereignisse unter einer intensivier-
ten Blutdruckeinstellung.
kurzgefasst
Arterielle Hypertonie trägt ent-
scheidend zur Entstehung der diabeti-
schen Nephropathie und der diabeti-
schen Retinopathie bei. Das Risiko
kardiovaskulärer Erkrankungen ist bei
Diabetes und arterieller Hypertonie
deutlich erhöht und lässt sich durch
eine intensivierte Blutdruckeinstel-
lung reduzieren.
Antihypertensive Thera-
pie bei Diabetes mellitus
Typ 2
Therapieziele
Bisher wurden von den Fachgesell-
schaften aufgrund des deutlich erhöh-
ten Risikos eine Blutdrucksenkung auf
Werte unter 130/80 mmHg empfoh-
len (ESC, EASD, Deutsche Hochdruck-
liga Leitlinien 2007). Aufgrund der
nicht ausreichenden Evidenzbasie-
rung wurde dieser Grenzwert kürz-
lich neu diskutiert, und es wird nun
empfohlen, den Blutdruck bei diesen
Patienten auf Werte zwischen
130-140/80-85 mmHg zu senken.
Die Empfehlung basiert auf Daten
aus zwei großen klinischen Studien,
in denen das systolische Blutdruckziel
bisher nicht abschließend definiert
werden konnte. In der ACCORD-Studie
fand sich kein signifikanter Unter-
schied bezüglich des primären kombi-
nierten Endpunktes (nichttödlicher
Schlaganfall oder Herzinfarkt, kardio-
vaskulärer Tod) zwischen einer inten-
sivierten Therapie mit einem Zielblut-
druck < 120 mmHg und einem Ziel-
blutdruck < 140 mmHg. Jedoch war
die Inzidenz von Schlaganfällen in der
intensiviert behandelten Gruppe
niedriger (auf Kosten der Rate uner-
wünschter Nebenwirkung wie Hypo-
tonien, Bradykardie und Einschrän-
kungen der Nierenfunktion) [8].
Im Gegensatz hierzu zeigte die
ADVANCE-Studie, dass eine Blut-
drucksenkung auf Werte um die
134 mmHg die kardiovaskuläre Prog-
nose verbessert [22]. Für den diastoli-
schen Blutdruck bietet eine Subgrup-
penanalyse der HOT-Studie Hinweise,
dass bei Diabetikern mit diastolischen
Zielblutdruckwerten ≤ 80 bzw. ≤
85 mmHg die Inzidenz schwerer kar-
diovaskulärer Ereignisse und deren
Letalität vermindert wird [29].
Dieser Evidenzlage wird durch das
neue diastolische Blutdruckziel von
80-85 mmHg Rechnung getragen.
Jedoch sollte dabei im Auge behalten
werden, dass zahlreiche Studien ein
J-Kurven-Phänomen in Bezug auf eine
zu starke diastolische Blutdrucksen-
kung zeigten [18]. Insbesondere die
Daten der INVEST-Studie (Internatio-
nal Verapamil-Trandolapril) legen
nahe, dass dies vor allem bei korona-
rer Herzkrankheit von Bedeutung ist
und eine zu starke Blutdrucksenkung
mit einer erhöhten Rate kardiovasku-
lärer Ereignisse vergesellschaftet ist
[17]. Pathophysiologisch scheint hier
eine koronare Minderdurchblutung
während der Diastole von Bedeutung
zu sein [18]. Eine genauere Definition
des Zielblutdrucks wird weitere Stu-
dien erfordern.
kurzgefasst
Bei Diabetes mellitus sollte der
Blutdruck nach Möglichkeit auf Werte
von 130-140/80-85 mmHg gesenkt
werden.
Therapeutische Optionen
Grundsätzlich sind Lebensstilmodifi-
kationen insbesondere Gewichtsab-
nahme, körperliche Aktivität und diä-
tetische Kochsalzrestriktion die Basis
jeder antihypertensiven Behandlung.
Eine medikamentöse Therapie ist
dennoch in den meisten Fällen not-
wendig. Grundsätzlich kommen hier-
für alle Gruppen von Antihypertensi-
va in Betracht, wobei häufig eine
Kombination aus zwei oder mehreren
Medikamenten notwendig ist, um
eine effektive Blutdrucksenkung zu
gewährleisten. Jedoch sollte die The-
rapie nicht mit Betablockern oder
Thiaziddiuretika eingeleitet werden,
sofern für diese Substanzen keine
gesonderte Indikation vorliegt wie
z. B. eine Herzinsuffizienz oder koro-
nare Herzkrankheit, da diese Sub-
stanzklassen potenziell die Insulinre-
sistenz verstärken können. Eine Viel-
zahl von Studien hat sich dem Ver-
gleich der verschiedenen Medikamen-
tengruppen hinsichtlich der Redukti-
on des kardiovaskulären Risikos
gewidmet.
Im Vergleich von ACE-Hemmern und
Calciumantagonisten legen die Daten
einen Vorteil der ACE-Hemmer-The-
rapie in Bezug auf das kardiovaskuläre
Risiko nahe. In der FACET-Studie
(Fosinopril Versus Amlodipine Cardio-
vascular Events Randomized Trial)
zeigte sich nach 3,5 Jahren eine deut-
lich reduzierte Rate kardiovaskulärer
Ereignisse für den ACE-Hemmer Fosi-
nopril im Vergleich zum Calciumanta-
gonisten Amlodipin [27]. Eine Sub-
gruppenanalyse der ABCD-Studie
(Appropriate Blood Pressure Control
in Diabetes) erbrachte ebenfalls eine
höhere Rate tödlicher und nicht-tödli-
cher Myokardinfarkte unter dem Cal-
ciumkanalblocker Nisoldipin im Ver-
gleich zum ACE-Hemmer Enalapril
[9]. Die STOP-2-Studie bestätigte
diese Daten mit signifikant weniger
Myokardinfarkten unter ACE-Hem-
mer-Therapie, jedoch, wenn auch
nicht signifikant, einer stärkeren Ten-
denz für mehr Schlaganfälle, vergli-
chen mit dem Calciumantagonisten
[13].
Studien, die die Wirkung von Calci-
umantagonisten mit Diuretika und
Betablockern verglichen, zeigen für
keine der beiden Gruppen einen Vor-
teil im Hinblick auf die kardiovaskulä-
re Morbidität und Mortalität [7, 11,
13]. Die größte Studie ist in diesem
Rahmen die ALLHAT-Studie (The Anti-
hypertensive and Lipid-Lowering
Treatment to Prevent Heart Attack
Trial), die bei 24 303 Diabetikern
keinen signifikanten Unterschied
zwischen dem Calciumantagonisten
Amlodipin und dem Diuretikum
Chlortalidon hinsichtlich des kardio-
vaskuläre Outcome finden konnte [3].
Im Vergleich zwischen ACE-Hemmer
mit Diuretika und Betablockern ergab
eine Subgruppenanalyse der CAPP-
Studie (Captopril Prevention Project)
an 572 Hypertonikern mit Diabetes,
dass ACE-Hemmer zu einer signifi-
kanten Reduktion der kardiovaskulä-
ren Mortalität im Vergleich zu einer
Diuretika/Betablockertherapie führen
[19]. Vergleichbare Ergebnisse wur-
den auch in der UKPDS-Studie und
der STOP-2-Studie erzielt [2, 13].
Aktuelle Therapie der
Hypertonie bei Diabetes
Diabetes mellitus
Kardiovaskuläre Erkrankungen sind die Haupttodesursache bei Diabetes. Neben dem vermehrten Auftre-
ten einer diffusen und ausgeprägten Arteriosklerose entwickeln sich zudem gehäuft mikro- und makro-
vaskuläre Komplikationen. Man geht davon aus, dass eine Häufung von Risikofaktoren zugrunde liegt. Zu
diesen zählen die arterielle Hypertonie, die Dyslipidämie, endotheliale und Thrombozyten-Dysfunktion
sowie die Inflammation [6]. Teilweise werden diese Veränderungen unter dem Begriff des metabolischen
Syndroms zusammengefasst, das die variable Kombination aus viszeraler Adipositas, Veränderungen des
Glukose- und Lipidstoffwechsels sowie des arteriellen Blutdrucks beschreibt. Die Prävalenz des metaboli-
schen Syndroms ist hoch und mit einer etwa 2-fach erhöhten Letalität und dem vermehrten Auftreten
kardiovaskulärer Ereignisse assoziiert (
. Die arterielle Hypertonie ist eine zentrale Kompo-
nente des metabolischen Syndroms und betrifft ca. 90 % aller Diabetes-Patienten.
Angiotensionogen
Angiotensin I
Angiotensin II
+
+
+
Renin
ACE
Symphathisches
Nervensystem ↑
Aldosteron ↑
RR ↑
Blutvolumen ↑
Freie Fettsäuren ↑
Natriumrückresorption
Vasokonstriktion
Vermehrtes Durstgefühl
Adipositas/
Fettgewebe
Adipositas/
Fettgewebe
+
Abb. 1
Entwicklung der arteriellen Hypertonie bei viszeraler Adipositas. Aufgrund des Vor-
kommens sämtlicher Komponenten des Renin-Angiotensinogen-Systems und einer ver-
mehrte Angiotensinogenbildung im Fettgewebe sind die Aldosteronwerte erhöht. Bei Adi-
pösen ist zudem die Fettsäureproduktion gesteigert, die möglicherweise die Aldosteron-
produktion unabhängig vom Renin stimuliert. Zustätzlich kommt es im Rahmen der Adi-
positas zu einer erhöhten Aktivität des symphatischen Nervensystems mit konsekutiv ver-
mehrter Reninfreisetzung [31].