Berufspolitik
Nr. 2 • Februar 2013
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Verwirrt war die Politik. Auch sie
wurde auf dem falschen Fuß
erwischt. Nur aus der CDU waren
populistische Forderungen nach dem
Staatsanwalt zu hören. Nach dem
Motto: Regulierung einerseits und
Maßnahmen gegen Ärzte andererseits
kommen immer gut an. Eine gewisse
Zurückhaltung zu dem Thema hörte
man aus dem Bundesgesundheitsmi-
nisterium.
Der Vertragsarzt: freiberuflich,
aber von halbstaatlichen Institutio-
nen umzingelt
Trotz des Urteils des Bundesgerichts-
hofs zum freiberuflichen Status der
Ärzteschaft sollte man die erneute
Diskussion zum Anlass nehmen, die
Position des Vertragsarztes in unse-
rem halbstaatlichen bis ganz staatli-
chen Gesundheitswesen zu überprü-
fen. Es besteht tatsächlich eine hohe
Abhängigkeit von den Vorgaben der
Krankenkassen. Vertragsärzte erhal-
ten ihr Honorar durch die Behandlung
der Patienten, dürfen aber keinen
Gewinn über Arzneimittel oder Sach-
kosten erwirtschaften. In diesem
Punkt sind sie tatsächlich Sachwalter
der Krankenkassen. Hier haben sie
eine Verpflichtung, so wirtschaftlich
wie möglich zu arbeiten.
Eine Beeinflussung von außen, z. B.
durch die Pharmaindustrie, muss
möglichst unterbleiben. Insofern ist
der Vertragsarzt als Verwalter der
Krankenkassenvorgaben von halb-
staatlichen Institutionen umzingelt,
die als Körperschaften des öffentli-
chen Rechts verkleidet sind. Verfolgt
man die Diskussion zu diesem Thema
über die letzten Jahre, so stellt sich
durchaus die Frage, ob in unserem
System der vom Bundesgerichtshof
gestärkte freiberufliche Arzt tatsäch-
lich noch politisch gewollt ist. Zumin-
dest von Seiten der Krankenkassen
scheint die Absicht zu bestehen,
den Vertragsarzt in einen Pseudo-
angestellten umzuwandeln.
Das System will die Nachteile der
Freiberuflichkeit mit einem wirt-
schaftlichen Risiko am liebsten mit
den Nachteilen des Angestelltenda-
seins kombinieren, das eine Regle-
mentierung der beruflichen Tätigkeit
stärker als bisher zulässt. Am liebsten
würde man eine Art Pseudogehalt
über die KV bezahlen und die Verhal-
tensregeln im öffentlichen Dienst für
den Arzt einführen.
Man sollte dabei nicht vergessen, dass
diese unglückliche Konstellation mit
einer der Gründe ist, warum sich
immer weniger junge Ärzte in freier
Praxis niederlassen.
Geldwerter Vorteil oder
Bestechung?
Wenn die Politik strafrechtliche Rege-
lungen per Gesetz einführen sollte, so
wird sie sich an den seitherigen Rege-
lungen im öffentlichen Dienst orien-
tieren. Von Beamten hört man sehr
interessante Details über die dort
üblichen Reglementierungen. So dürf-
ten Einladungen von einzelnen Kran-
kenkassen zu einem gemeinsamen
Abendessen, sei es von der Pharmain-
dustrie oder bei einem Neujahrsemp-
fang, den Vertragsarzt zwingen, dies
gegenüber dem Finanzamt als geld-
werten Vorteil einzubringen. Die Ver-
tragsärzte müssen auch lernen, zwi-
schen einer normalen Mahlzeit und
einem Imbiss zu unterscheiden. Letz-
terer ist nämlich steuerlich ohne
Wirksamkeit. Auch wird man sich
möglichweise die Fragen gefallen
lassen müssen, warum man einen
Imbiss einer Mahlzeit vorgezogen hat.
Man kann nur hoffen, dass die Ant-
wort „man hatte keinen ausreichen-
den Hunger“ bei dem Finanzamt
akzeptiert wird. Besonders interes-
sant aus der Sicht des Vertragsarztes
sind wohl die Geschenke, die viele
Patienten am Ende der Behandlung
oder insbesondere zum Jahreswechsel
und zu Weihnachten dem Arzt brin-
gen. Insbesondere im Zeitalter von
heimlicher Rationierung und Warte-
zeiten in der Praxis versucht sich der
Patient ins rechte Licht zu rücken,
was man auch als Bestechung inter-
pretieren könnte. Auch hier wäre ein
geldwerter Vorteil für die zahlreichen,
am Jahresende abgelieferten Alkoholi-
ka vom Finanzamt einzufordern. Viel-
leicht sollte man den Patienten von
Anfang an mitteilen, dass sie doch
den Kassenbon ihres Geschenkes mit-
bringen mögen, damit man der steu-
erlichen Pflicht auch nachkommen
kann.
Bitte das Kind nicht mit dem
Bade ausschütten!
Noch haben wir keine gesetzliche
Regelung. Diese sarkastischen Bei-
spiele sollten der Politik zu denken
geben, dass man bei diesen Fragen
das Kind bitte nicht mit dem Bade
ausschütten soll.
Eine Überregulierung bei dieser Frage
muss dringend verhindert werden,
sonst wird die Ärzteschaft auf kurz
oder lang auf ihren freiberuflichen
Status verzichten.
Die Verantwortung würde dann bei
der Sicherstellung der Versorgung
wieder bei den Krankenkassen und
bei der Politik landen, die Vertrags-
ärzte wären außen vor. Sie würden
sich wie Angestellte im öffentlichen
Dienst verhalten und entsprechend
den Verwaltungsvorgaben arbeiten.
Die weihnachtlichen Geschenke wür-
den dann nicht mehr beim Arzt lan-
den, sondern, wie es in großen Poli-
kliniken üblich war, beim Empfangs-
personal, das darüber bestimmt, ob
der Patient am Untersuchungstag zu
einem freundlichen oder unfreundli-
chen Arzt eingeteilt wird.
Wünscht man sich solche Verhältnis-
se in der Bundesrepublik Deutsch-
land?
HFS
Überregulierungen müssen
verhindert werden
Korrupte Ärzte
(Fortsetzung von Seite 1)
Viele glauben auch, dass die Bedarfs-
planung auf medizinischen Grundla-
gen einer medizinischen Versorgungs-
forschung beruht. Auch dies trifft nicht
zu. Die neue Planung basiert auf den
alten Zahlen, auch wenn sie nach
demografischen Daten in Zukunft ver-
ändert werden. Der BDI wird sich mit
den Details der neuen Bedarfsplanung
eingehend beschäftigen und diese
auch in BDI aktuell darstellen.
Keine einheitlichen Bezirke für
alle Fachgruppen
Bereits jetzt werden aber bestimmte
Grundsätze erkennbar, die die neue
Bedarfsplanung von den seitherigen
Regelungen unterscheidet: Einheitliche
Bezirke für alle Fachgebiete gemein-
sam fallen weg. Die hausärztliche Ver-
sorgung wird kleinräumiger als seither
geplant. Es wird deshalb wesentlich
schwieriger sein, aus einem sozialen
Brennpunkt in Berlin die Praxis ein-
fach im gleichen Planungsbezirk nach
Charlottenburg zu verlagern. Man ver-
mutet, dass die seitherigen Planungs-
bezirke für die wohnortnahe Facharzt-
versorgung gleich bleiben. Die fach-
ärztlichen Internisten gehören nicht
zur wohnortnahen Versorgung und
werden deshalb in großen Raumord-
nungsbezirken verplant. Man geht
davon aus, dass den Patienten für diese
Fachgruppen auch längere Wege
zumutbar sind. Für die Internisten hat
dies den Vorteil, dass ihre Beweglich-
keit innerhalb ihres Planungsbezirkes
größer wird. Auch die Übernahme von
Praxissitzen dürfte durch diese Rege-
lung leichter werden.
Regionalisierung der Entschei-
dungsbefugnis
Von großer Bedeutung ist die gewach-
sene Entscheidungsbefugnis der Lan-
desausschüsse und die Regionalisie-
rung der Entscheidungspraxis. Die
Kompetenz der Zulassungsausschüsse
wird erheblich erweitert. So dürfte es
in Zukunft bei einer Praxisübernahme
schwieriger sein, einen anderen
Schwerpunkt anzusiedeln, wenn ein
Versorgungsproblem regional entste-
hen könnte. Für die Zulassungsaus-
schüsse bedeutet dies wesentlich mehr
Arbeit als in der Vergangenheit und für
die Vertragsärzte möglicherweise eine
abnehmende Rechtssicherheit. Mit
jeder Sonderentscheidung wird eine
Art Präzedenzfall geschaffen, der wie-
derum Vorbild für neue Regelungen
sein könnte.
Weniger Rechtssicherheit, mehr
Bürokratie?
Es steht somit zu befürchten, dass die
Rechtssicherheit der Beschlüsse
abnimmt, bei gleichzeitiger Steigerung
des bürokratischen Aufwandes. Nach
einer ersten Analyse sind viele Punkte
der neuen Bedarfsplanung durchaus zu
begrüßen. Das grundsätzliche Problem
des Ärztemangels und der mangelnden
Bereitschaft, sich insbesondere im
hausärztlichen Bereich niederzulassen,
löst sie aber nicht.
HFS
Der Stein der Weisen?
Bedarfsplanung
(Fortsetzung von Seite 1)
Hierzu kramte das Institut für Mikro-
datenanalyse (IFMDA) das in Zusam-
menarbeit mit der KV Schleswig-Hol-
stein und dem PVS entwickelte Ver-
sorgungsmodell für die ambulante
Versorgung aus dem Jahr 2012 her-
vor: Unter dem Titel „Versorgungsmo-
dell Gesundheitskonto mit Solidargut-
schrift“ (VGS) werden neue Struktur-
elemente wie Patientenrechnung, Ein-
zelleistungsvergütung, implizite Kos-
tenerstattung und solidarisch finan-
zierte Eigenbeteiligung (Solidargut-
schrift) für die GKV vorgeschlagen.
Das Versorgungsmodel VGS zielt auf
eine effiziente Versorgung, mit der
die Prinzipien der Wirtschaftlichkeit,
der Eigenverantwortung und der
Nachhaltigkeit für Versicherte, Patien-
ten, Ärzte und Krankenkassen
gestärkt werden sollen.
Im Versorgungsmodell VGS werden
zahlreiche Normen, zum Beispiel die
Empfehlung der Monopolkommission
und die Inhalte des Koalitionsvertra-
ges zwischen CDU, CSU und FDP
sowie ökonomische und gesundheits-
politische Konzepte, berücksichtigt.
Zudem werden die Elemente Patien-
tenquittung, Einzelleistungsvergütung
und implizierte Kostenerstattung mit
einer Solidargutschrift und mit einem
Gesundheitskonto zu einem logischen
Gesamtmodell zusammengefügt.
Sofern sich die Versicherten freiwillig
für dieses Modell einschreiben, kann
die Praxisgebühr entfallen.
Das aufgezeigte Ineinandergreifen der
verschiedenen Elemente von Patien-
tenquittung, Einzelleistungsvergü-
tung, implizierte Kostenerstattung
und Solidargutschrift, verbunden mit
dem Gesundheitskonto erfordert eine
genaue Darstellung, was unter den
jeweiligen Elementen verstanden
wird.
Einzelleistungsvergütung
Die Rechnungsgrundlage für die
Behandlungskosten ist eine Einzelleis-
tungsvergütung nach GOÄ. Zur
Bestimmung der GOÄ-Multiplikatoren
können auf Bundesebene Verhand-
lung zwischen KBV und Spitzenver-
bände stattfinden. Auch sind die Mög-
lichkeiten der Rahmenfestlegung auf
regionaler Ebene zwischen Kassen-
ärztlicher Vereinigung und Kranken-
kassen denkbar. Vergütungs- und
Leistungspauschalierungen müssen
weitgehend vermieden werden.
Gesundheitskonto
Auf dem individuellen Gesundheits-
konto wird eine Solidargutschrift
(= solidarisch finanzierte Eigenbeteili-
gung) in Höhe von zehn Prozent der
ambulanten Behandlungskosten gut-
geschrieben. In diesem Zusammen-
hang sind vier Fragen zu klären: Wie
das Gesundheitskonto finanziert
wird, wie das individuelle Guthaben
gebildet wird, was passiert, wenn das
Guthaben innerhalb eines Abrech-
nungsjahres nicht verbraucht wird,
und was geschieht, wenn das Gutha-
ben vor Ablauf eines Abrechnungs-
zeitraums schon erschöpft ist.
Die Finanzmittel des Gesundheitskon-
tos werden über den Gesundheits-
fonds bereitgestellt. Somit wird
sichergestellt, dass die individuellen
Gesundheitskosten über das Solidar-
prinzip der GKV finanziert werden
und von dem Versicherten keine
gesonderten Zahlungen in das
Gesundheitskonto zu leisten sind.
Die Guthabenbildung auf dem
Gesundheitskonto wird entweder in
Anlehnung an den Morbi-RSA, also
über individuelle aufgelöste Zuwei-
sung des BVA, oder direkt über die
individuell zu erwartenden ambulan-
ten Ausgaben gebildet. In weiterent-
wickelten Modellen wird das Gutha-
ben zusätzlich an individuelle Morbi-
ditätskriterien und/oder an individu-
ell zu erwartende ambulante Behand-
lungskosten des Versicherten ange-
passt.
Im Zuge des Abrechnungsprozesses
erhält der Patient über die Kassen-
Alter Wein in neuen Schläuchen
Versorgungsmodell Gesundheitskonto mit Solidargutschrift
Auf das „Aus“ der Kassengebühr, welche im Rahmen eines Omnibusgesetzes durch den lapidaren Satz
„§ 28 Abs. 4 wird aufgehoben“ auf Seite 8 der Bundestagsdrucksache 17/11396 ins Rollen gebracht wurde
und das der Bundestag einstimmig verabschiedete, folgten kurz darauf „neue Ideen“, wie zukünftig eine
Patientenbeteiligung innerhalb des Gesundheitswesens vonstattengehen könnte.
1,2,3 5,6,7,8,9,10,11,12,13,14,...28