Berufspolitik
Nr. 2 • Februar 2013
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Unter anderem die Mittelknappheit
im Gesundheitswesen erfordert von
allen Akteuren zunehmend mehr
Kenntnisse über medizinisch-ökono-
mische Zusammenhänge des Gesund-
heitswesens. Neben medizinischen
Fähigkeiten ist daher ein grundlegen-
des Wissen über gesundheitsökono-
mische und institutionelle Aspekte
unabdingbar, um gegenwärtige und
zukünftige Entwicklungen im Hin-
blick auf ihre Systemfunktionalität
besser einschätzen zu können.
Auf dieser Grundlage wurde bereits
2005 ein Qualitätsmanagement für
den ärztlichen ambulanten Versor-
gungsbereich verpflichtend. Neben
den etablierten Qualitätsmanage-
mentsystemen für die ambulante Ver-
sorgung wie QM-Innere (QMI) des
BDI oder QEP der KBV kommt in vie-
len Praxen auch die DIN ISO 9001
zum Einsatz. Da das letztgenannte
QM-System jedoch lediglich einen
abstrakten Zugriff für die ärztliche
ambulante Versorgung erlaubte,
wurde nunmehr das neue Regelwerk
DIN EN 15224 als eigenständige Norm
für das Gesundheitswesen entwickelt.
QMI und QEP sind checklistenbasiert
und erleichtern daher einerseits dem
Anwender die Umsetzung eines QM-
Systems in seiner Praxis, andererseits
wird dadurch auch ein enger Korridor
vorgegeben. Ein Blick in die neue
Norm erlaubt das Urteil, dass es sich
nicht um eine revolutionäre, sondern
vielmehr um eine evolutionäre
Anpassung der ISO 9001 handelt.
Hierbei liegt ein wesentlicher Unter-
schied in der Übersetzung vieler
abstrakter Begriffe in die Sprache des
Gesundheitswesens. So wird endlich
aus dem „Kunden“ der „Patient“ und
Kernprozesse werden in „klinische,
Bildungs- und Forschungsprozesse“
transformiert. Dabei untergliedert
sich die DIN EN 15224 in 11 Quali-
tätsmerkmale (siehe Kasten). Ein star-
kes Gewicht wird hierbei dem Thema
Patientensicherheit bzw. Risikomana-
gement eingeräumt. Dieses zieht sich
im Prinzip durch alle 11 Qualitätskri-
terien, wobei die Norm unter ande-
rem verlangt, die Risiken zu analysie-
ren und die Verfahren dazu im QM-
Handbuch zu beschreiben. Demzufol-
ge werden die Praxen zukünftig
gezwungen sein, im Bereich der
Patientenversorgung begleitende Pro-
zesse, die ebenfalls den Patienten
gefährden könnten, genau zu beob-
achten. Auch diese Formulierungen
sind QMI und QEP nicht fremd – im
Gegenteil. Zahlreiche der 11 Quali-
tätsmerkmale sind schon lange
Bestandteil von QMI und QEP und
werden mit entsprechenden Beispie-
len und Umsetzungsvorschlägen den
niedergelassenen Ärzten aufgezeigt.
Grundsätzlich besteht somit kein
Grund zur Beunruhigung, denn nach
Expertenmeinungen lässt sich der
neue Standard einfach auf das beste-
hende Praxis-QM-System aufsetzen.
Demzufolge wird allen Praxen emp-
fohlen, nicht die neue Norm als
Grundlage für ihr Qualitätsmanage-
mentsystem zu nehmen, sondern ihr
bisheriges QM-Verfahren ggf. an die
Norm anzupassen.
Fazit: Eine DIN ISO 9001 speziell
für das Gesundheitswesens
Die DIN EN 15224 ist vereinfacht for-
muliert eine Übersetzung der DIN ISO
9001 speziell für Einrichtungen des
Gesundheitswesens. Darin finden sich
für die Beteiligten verständliche
Begriffe und Anforderungen. Die DIN
9001 ist seither abstrakt gehalten und
fand für alle Dienstleistungsbranchen
ihre Anwendung. Die DIN EN 15224
gilt spezifisch für Gesundheitsdienst-
leistungen und konkretisiert für diese
Branche die entsprechenden Anforde-
rungen. Da die Anforderungen hierin
konkreter beschrieben sind, könnte
man „gefühlt“ von einer „engeren“
Norm als die alte DIN ISO 9001 ausge-
hen.
Jedoch könnte durchaus der Eindruck
entstehen, dass die Erfüllung der
Normanforderung per Gesetz oder
vertraglich zur Bedingung gemacht
wird, wenn Gesundheitsdienstleis-
tungen vergütet oder zugelassen wer-
den sollen. Demgegenüber werden
verpflichtende normative Vorgaben
und Anforderungen derzeit grund-
sätzlich vom Gesetzgeber vorgegeben
und im SGB V im Bereich des Gesund-
heitswesens verankert. Unter ande-
rem ist es die Aufgabe der Selbstver-
waltung (hier des Gemeinsamen Bun-
desausschusses), diesen gesetzlichen
Rahmen auszufüllen und für eine all-
tagspraktische Umsetzung der gesetz-
lichen Vorgaben zu sorgen. Beispiels-
weise sind daher in der Qualitätsma-
nagementrichtlinie vertragsärztliche
Versorgung (ÄQM-RL) die grundsätzli-
chen Anforderungen an ein einrich-
tungsinternes Qualitätsmanagement-
system festgehalten worden. Diese
Anforderungen haben sich aufgrund
der neuen Gesundheitsreform DIN EN
15224 nicht geändert. Vielmehr noch
zeichnet sich auch derzeit keine stei-
gende Anforderung ab.
Die DIN EN 15224 ist und bleibt eine
Zertifizierungsnorm und keine Anlei-
tung oder gar Umsetzungshilfe zum
Aufbau eines lebendigen QM-Systems,
wie es die Systeme des BDI oder der
KBV darstellen. Insgesamt also nichts
Neues. Vor allem werden hierin nicht
die geltenden normativen Vorgaben
für die Vertragsärzte definiert – diese
finden sich nach wie vor im SGB V
und in der ÄQM-RL. Die DIN EN
15224 ist demnach eher eine überge-
ordnete Sichtweise, welche für mana-
gement- und strategieaffine Unter-
nehmen sehr angemessen erscheint
und zudem hohe individuelle gestal-
terische Freiheitsgrade erlaubt. Für
kleine Unternehmen, QM-Einsteiger
oder Unternehmen aus Branchen,
deren Kultur eher nicht explizit auf
Managementaspekte ausgerichtet ist,
ist es jedoch oft schwer zu verstehen,
was im Einzelnen gemeint ist.
Dipl.-Betrw. Tilo Radau
Geschäftsführer
Berufsverband Deutscher Internisten
e.V.
Wird die neue
Gesundheitsnorm der
Branchenstandard?
Gesundheitsnorm DIN EN 15224
Während die Bundesärztekammer
(BÄK) optimistisch ist und darauf
baut, dass noch termingerecht vor
Ende dieser Legislaturperiode eine
Verhandlungslösung mit der Privatas-
sekuranz und der Beihilfe zustande
kommt, blockiert der PKV-Verband
unvermindert hart. Dreitägige Son-
dierungsgespräche von Bundesärzte-
kammer und PKV-Verband Anfang
September sind ergebnislos abgebro-
chen worden und wurden am
4. November fortgesetzt. Ergebnis:
Kaum Fortschritte. Striktes Still-
schweigen allerorten! Dem Verneh-
men nach gibt es innerhalb der PKV
zum Teil unterschiedliche Meinungen
und strategische Vorstellungen im
Hinblick auf die Verhandlungen zur
Erzielung einer Selbstverwaltungslö-
sung. Während offenbar Unterneh-
men der privaten Krankenversiche-
rung mit einem relativ großen Markt-
anteil eher geneigt sind, auf der Basis
des BÄK-Konzeptes und des von der
Ärzteschaft weiterentwickelten
Gebührenverzeichnisses zu verhan-
deln und die alte Gebührenordnung
als Grundlage für „Analogbewertun-
gen“ heranzuziehen, lehnen der PKV-
Verband und die meisten kleineren
Unternehmen der PKV jede Erweite-
rung der Zahl von Analogbewertun-
gen ab. Im Gegenteil müsse die Zahl
der ausufernden Analogbewertungen
begrenzt und/oder ganz in die Gebüh-
renordnung „versenkt“ werden, so die
Lesart des PKV-Verbandes und dessen
geschäftsführenden Vorstandsmitglie-
des, Dr. rer. pol. Volker Leienbach,
Köln/Berlin.
Strategie der Bundesärztekam-
mer: Mehr Analogbewertungen
Der Termindruck wird immer größer,
denn nach dem parlamentarischen
Beratungs- und Beschlussmodus
müssten die Beratungen spätestens
Ende März/Anfang April 2013 abge-
schlossen werden, um die „neue“ GOÄ
als Bundesverordnung mit Zustim-
mung des Bundesrates rechtszeitig
noch vor der Bundestagswahl Mitte
September 2013 zu erlassen. Die Bun-
desärztekammer räumt ein, falls dies
nicht gelinge und nicht mehr Geld
fließe, sei das Reformprojekt geschei-
tert. Zudem sei es ungewiss, ob und
wie schnell und unter welchen Kondi-
tionen es zu einem neuen Anlauf zur
Revision der seit 1988 nicht geänder-
ten GOÄ kommt. Zuletzt hatte Bun-
desgesundheitsminister Daniel Bahr
(FDP) vor dem Deutschen Ärztetag
Ende Mai 2012 in Nürnberg erklärt,
zunächst müssten die Direktkontra-
henten – Ärzteschaft, PKV und Beihil-
fe – ihre Hausaufgaben erledigen, ehe
der Bundesverordnungsgeber auf der
Basis eines konsensual erarbeiteten
Konzeptes politisch tätig wird. Solan-
ge müsse auch das von der PKV leb-
haft geforderte Projekt einer „Öff-
nungsklausel“ (PKV-Lesart: „Vertrags-
kompetenz“) offen bleiben. Der Präsi-
dent der Bundesärztekammer, Prof.
Dr. med. Frank Ulrich Montgomery,
und der Vorsitzende der Gebühren-
ordnungsgremien der BÄK, Dr. med.
Theodor Windhorst, Chefarzt aus Bie-
lefeld und zugleich Präsident der Ärz-
tekammer Westfalen-Lippe, ließen
intern verlauten, dass, falls die GOÄ
auf Selbstverwaltungsebene weiter
stocken sollte, die Ärzteschaft darauf
baut, dass die bisher geltende GOÄ
dazu herangezogen werde, um eine
größere Anzahl der analogen Bewer-
tungen flächendeckend anzuwenden
und danach abzurechnen.
Dr. Harald Clade
Gebührenordnung für Ärzte
Blockade-Politik der PKV –
und kein Ende?
Die Vorbereitungen für die Reform der Amtlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ), die von der Bundes-
regierung noch für diese Legislaturperiode angekündigt wurden, stocken. Erklärte Absicht des Bundesge-
sundheitsministeriums ist es, die Direktkontrahenten der Revision der GOÄ – Bundesärztekammer, Ver-
band der privaten Krankenversicherung und die Beihilfestellen der Länder – an einen Tisch zu bringen
und ein gemeinsames Konzept konsensual zu erarbeiten und für den Verordnungsgeber als Verhand-
lungsgrundlage zu präsentieren.
Mit ihrer Veröffentlichung ist die „DIN EN 15224 – Dienstleistungen
in der Gesundheitsversorgung – Qualitätsmanagementsysteme –
Anforderungen nach EN ISO 9001:2008“ als eine der wichtigsten Ent-
wicklungen der letzten Jahre im Bereich des Qualitätsmanagement
zur Fertigstellung gelangt. Das neue Kind aus der Feder des Normen-
ausschusses Medizin (NAMed) und des Deutschen Instituts für Nor-
mung (DIN) verspricht Gesundheitseinrichtungen eine spezifische
Übersetzung der bewährten, aber abstrakten DIN ISO 9001:2008.
11 Kriterien der DIN EN 15224
1. Angemessene Versorgung:
Der Patient wird entsprechend seines
gesundheitlichen Zustands mit keinen/geringfügigen Komplikationen
oder Nebenwirkungen behandelt.
2. Verfügbarkeit:
Dienstleistungen der Gesundheitsversorgung sind für den
Patienten erreichbar und möglich.
3. Kontinuität der Versorgung:
Es besteht eine nahtlose Kette von
Dienstleistungen der Gesundheitsversorgung für den Patienten.
4. Wirksamkeit:
Tätigkeiten der Gesundheitsversorgung sorgen in relativ
kurzer Zeit zu einem erwartet positiven Ergebnis.
5. Effizienz:
Das für den Patienten erwartete Ergebnis wird unter Einsatz
eines Minimums an Ressourcen erzielt.
6. Gleichheit:
Patienten mit gleichartigen Erfordernissen wird die gleiche
Versorgung erbracht.
7. Evidenzbasierte Versorgung:
Untersuchungen und Behandlungen beruhen
auf wissenschaftlich fundierten Tatsachen und/oder Erfahrungen auf der
Basis von Wissen/bester Praxis.
8. Auf den Patienten ausgerichtete Versorgung:
Tätigkeiten der Gesundheits-
versorgung sind auf die Sichtweise des Patienten konzentriert und werden
stets mit dem Einverständnis des Patienten und mit Blick auf die körperliche
und psychologische Unversehrtheit ausgeführt.
9. Einbeziehung des Patienten:
Der Patient wird in Kenntnis gesetzt und
nach Möglichkeit in allen Behandlungen aktiv einbezogen.
10. Patientensicherheit:
Allen beim Patienten vermeidbaren Schäden
wird vorgebeugt.
11. Rechtzeitigkeit:
Patient ist in der Lage, die Dienstleistungen der Gesund-
heitsversorgung ohne unzumutbare Wartezeiten zu erhalten.
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