Berufspolitik
Nr. 4 • April 2014
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Um ein ausreichendes Honorar abzu-
bilden, müssen die Faktoren zur
Bewertung oft voll ausgeschöpft
werden. Über 80 % aller Privatrech-
nungen legen deshalb den maxima-
len Steigerungsfaktor zugrunde, weil
die derzeitigen Vergütungssätze kei-
nerlei Inflationsausgleich der letzten
Jahre berücksichtigen. Die Schwie-
rigkeiten ließen sich leicht beheben,
wenn der Verordnungsgeber, die
Bundesregierung, die zuständige
Bundesärztekammer auffordern
würde, in diesem Sinne Vorschläge
für eine Überarbeitung vorzulegen.
Man müsste die GOÄ vom Prinzip
nicht ändern, sondern nur anpassen,
um die angesprochenen Defizite aus-
zugleichen.
Die Bundesregierung ist aber einen
anderen Weg gegangen und hat der
Bundesärztekammer als zuständige
Körperschaft Verhandlungen mit der
privaten Krankenversicherung (PKV)
aufgenötigt. Nur im Einvernehmen
mit der PKV sei eine neue Gebühren-
ordnung für Ärzte denkbar, die den
Segen der Regierung bekommt. Die
Privatversicherer wollen damit erst-
mals Einfluss auf das Vertragsver-
hältnis Arzt und Patient bei der
Rechnungsstellung nehmen. Dies ist
neu und geht über eine Anpassung
der GOÄ weit hinaus, weiß doch
jeder, dass die Kostenträger auf die-
sem Weg die Ausgaben für die
Gesundheit ihrer Versicherten kon-
trollieren und mindestens bremsen,
wenn nicht sogar vermindern wol-
len. Die PKV will durch die Reform
ihre Unternehmensgewinne optimie-
ren und die ebenfalls betroffene Bei-
hilfe an den Personalkosten sparen.
In der gesetzlichen Krankenversiche-
rung wird dies gemeinsam unter
dem Begriff Kostendämpfung abge-
legt.
PKV fordert Öffnungsklausel
Die Bundesärztekammer hatte nur
die Möglichkeit, der politischen For-
derung des Bundesgesundheitsminis-
teriums zu folgen und die Kostenträ-
ger in die Verhandlungen einzube-
ziehen oder auf dem seither üblichen
Weg zu bestehen und als Bundesärz-
tekammer allein dem BMG einen
Vorschlag für die GOÄ zu unterbrei-
ten. Bei den sehr guten Beziehungen
der privaten Krankenversicherung
zur FDP, die in der letzten Legislatur-
periode den Minister stellte, war
damit der Weg vorgebahnt. Die Bun-
desärztekammer hätte ihren Vor-
schlag dem Ministerium vorgelegt,
das dann die PKV um Stellungnahme
gebeten hätte, mit den zu erwarten-
den Folgen. Die Entscheidung, die
PKV als Verhandlungspartner zu
akzeptieren, war somit ein Gebot der
politischen Klugheit. Der Körper-
schaft Bundesärztekammer muss
dabei auch die Grenze ihrer rechtli-
chen, aber auch vor allem politischen
Kompetenz bewusst geworden sein.
Die PKV ist in die Verhandlungen mit
klaren Forderungen für eine grundle-
gende GOÄ-Reform gegangen. Zuerst
forderte sie die Öffnungsklausel. Bis-
her wird ein Behandlungs- und
Honorarvertrag nur zwischen Arzt
und Patient abgeschlossen. Nach dem
Berufsrecht hat der Arzt die Bestim-
mungen der GOÄ bei der Rechnungs-
stellung einzuhalten. Eine Rechts-
beziehung zur Krankenkasse des
Patienten besteht nicht. Dieser kann
mit der PKV einen Versicherungsver-
trag abschließen, um zu regeln, wie
viel von der Arztrechnung erstattet
wird. Die Versicherungsbedingungen
werden zwischen dem Patienten und
seiner Versicherung ausgehandelt.
Bei der Öffnungsklausel wäre der
PKV erlaubt worden, direkte Verträge
mit Ärzten unter Umgehung der
Patienten abzuschließen. Dies bliebe
nicht ohne Folgen für das Arzt-
Patienten-Verhältnis. Die PKV fordert
hier einen Einstieg in die Verhältnis-
se der gesetzlichen Krankenversiche-
rung, wo über die Kassenärztliche
Vereinigung oder direkt mit der Kas-
sen abgerechnet wird.
Multiplikatoren und Analogbe-
wertung zur Diskussion gestellt
Auch die Multiplikatoren bei der
Honorarbemessung waren und sind
der PKV ein Dorn im Auge. Sinn die-
ser Regelung ist den Schweregrad der
Erkrankung und den Aufwand beim
Eingriff bei der Honorierung zu
berücksichtigen. Es gibt kein Ein-
heitshonorar, wie in einer gesetzli-
chen Krankenversicherung, wo der
geringer Kranke besonders lukrativ
ist, weil er weniger Aufwand bei
gleichem Honorar erfordert. Auch bei
dieser Forderung der PKV, die Multi-
plikatoren einzudampfen, stand die
GKV Pate.
Auch die dritte Säule, die Analogbe-
wertungen, um den medizinischen
Fortschritt abzubilden, wurde zur
Disposition gestellt. Die GOÄ ist bis-
her kein Leistungskatalog wie der
EBM, sondern eine flexible Gebüh-
renordnung für Ärzte.
Verhandlungsziel der PKV war eine
neue GOÄ mit ordnungspolitischen
Ansätzen der GKV, aber keine einfa-
che Weiterentwicklung bei Inhalt
und Honorar. Man forderte eine
Revolution statt einer Evolution. Die
Verhandlungspartner waren soweit
auseinander, dass bis kurz vor der
Bundestagswahl 2013 eine Einigung
nicht in Sicht war. Die Bundesärzte-
kammer lehnte im Interesse der
Ärzte und ihrer eigenen Kompetenz
als Körperschaft einen Paradigmen-
wandel in Richtung gesetzlicher
Krankenversicherung ab. In einem
Punkt hatte sie sich aber der PKV
schon angenähert: Die Bewertung
der neuen Einzelleistungen wurde
betriebswirtschaftlich kalkuliert, die
Arztleistung von den übrigen Kosten
getrennt. Man erinnere sich an den
EBM 2000 mit dem kalkulierten
Arztlohn.
Vor der Bundestagswahl forderten
SPD, Grüne und Linke die Bürgerver-
sicherung mit Gleichschaltung der
PKV und der gesetzlichen Kranken-
versicherung mit der unweigerlichen
Konsequenz einer einheitlichen
Gebührenordnung für Ärzte. Bundes-
ärztekammer und PKV lehnen diese
Gleichschaltung ab und mussten als
Alternative zum EBM deshalb zügig
einen Vorschlag für eine GOÄ ablie-
fern.
Rahmenvereinbarung von
PKV und BÄK
Ohne Ausarbeitung der Details
wurde eine Rahmenvereinbarung
von PKV und Bundesärztekammer
unterschrieben allerdings mit einem
Schönheitsfehler: Ein weiterer Betei-
ligter, nämlich die Beihilfe, hat noch
nicht endgültig zugestimmt.
Dem zuständigen FDP-Minister
konnte man aber noch rechtzeitig
vor der Wahl die grundsätzliche Eini-
gung zur GOÄ signalisieren. Als Ziel
für die Verabschiedung aller Details
einschließlich der Bewertungen
wurde 2014 bzw. 2015 anvisiert.
Wie sieht dieses Verhandlungsergeb-
nis in der Rahmenvereinbarung aus?
▶ Eine lupenreine Öffnungsklausel
gibt es nicht. Es bleibt bei dem
Rechtsverhältnis Arzt/Patient. Die
PKV konnte sich hier nicht durch-
setzen.
▶ Es gibt weiter Multiplikatoren und
damit auch eine individuelle Rech-
nungsstellung. Die Multiplikatoren
werden aber eingegrenzt, indem
man einen sogenannten „robusten
Einfachsatz“ einführt. Die PKV hat
damit einen wichtigen Schritt in
die Einheitsbewertung der einzel-
nen Leistungen erreicht. Nicht ver-
gessen werden darf die betriebs-
wirtschaftliche Kalkulation mit der
Definition der Arztleistung inner-
halb einer Gebührenordnungsposi-
tion. Dies kann sich insbesondere
bei der Wahlleistung im Kranken-
haus in weiterer Zukunft durchaus
mehr als negativ bemerkbar
machen.
Der Knackpunkt der Verhandlung
Bis zu diesem Punkt sieht das Ver-
handlungsergebnis nach einem
Erfolg der Bundesärztekammer aus.
Liest man weiter in der Rahmenver-
einbarung, entdeckt man aber den
Knackpunkt. Die Bundesärztekam-
mer und die PKV gründen eine Kom-
mission, in der alle wichtigen Fragen
abgestimmt werden. Geht es bei der
Auswahl der Analogziffern mit rech-
ten Dingen zu? Kann man die Ana-
logziffern durch eine neue Leistungs-
definition ablösen? Wie sehen die
Bewertungen aus? Aufhorchen lässt
vor allem die Regelung, dass Analog-
ziffern abgelehnt werden können,
sodass bei gleichzeitiger Verweige-
rung einer neuen Gebührenord-
nungsposition die Leistung nicht
mehr im System erbracht werden
kann. Der Erlaubnisvorbehalt aus
dem EBM lässt grüßen, die GOÄ
droht über die Einführung von Inno-
vationen allmählich zu einer Art
Leistungsverzeichnis zu werden.
Fasst man die Vorgaben für die Kom-
mission zusammen, wird man das
Gefühl nicht los, dass hier sowohl
der Gemeinsame Bundesausschuss
kombiniert mit dem Bewertungsaus-
schuss in der gesetzlichen Kranken-
versicherung Pate gestanden hat.
Ein wichtiger Punkt darf nicht ver-
gessen werden: PKV und GOÄ
bewerten die finanziellen Folgen der
Reform nach 36 Monaten. Böswillige
sehen hier die ersten Ansätze zu
einer Budgetierung wie in der
gesetzlichen Krankenversicherung,
Gutwillige einen Ansatz, mehr Geld
für die Ärzte zu reklamieren, wenn
die Reform Verluste bringen sollte.
Warten wir es ab.
Im Klartext
Die Bundesärztekammer musste dem
politischen Druck nachgeben und
Verhandlungen mit der PKV aufneh-
men, die Elemente des GKV-Systems
in die GOÄ einführen will. Wie
immer steht am Ende von Verhand-
lungen ein Kompromiss, der in die-
sem Fall das PKV-System der GKV
deutlich annähert – mit allen dazu
gehörenden politischen Folgen für
unser duales Krankenversicherungs-
system. Die neustrukturierte Kom-
mission von PKV und BÄK erhält
zentrale Bedeutung und wird zumin-
dest indirekt auch in das Rechtsver-
hältnis Arzt/Patient eingreifen, das
man angeblich unangetastet gelassen
hat. Die Folgen für die Versorgung
hängen entscheidend vom Verhand-
lungsgeschick der Bundesärztekam-
mer in dieser Kommission ab.
Eines darf man bei der politischen
Bewertung nicht vergessen: Für den
neuen Gesundheitsminister von der
CDU hat die PKV nicht die Bedeu-
tung, wie für einen Minister von der
FDP. Er setzt andere Prioritäten und
wendet sich zur Zeit besonders der
Pflege zu. Es dürfte also noch etwas
dauern, bis die neue GOÄ endgültig
das Licht der Welt erblickt. Eines
scheint aber sicher: Bei der neuen
GOÄ wird es sich nicht mehr um eine
bloße Fortschreibung handeln, es ist
ein Paradigmenwandel in Richtung
GKV zu erwarten.
HFS
Ein Paradigmen-
wandel?
Die neue GOÄ
Die derzeit gültige Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ist dringend reno-
vierungsbedürftig. Dabei muss man aber streng zwischen der ordnungs-
politischen Systematik einerseits und den in ihr abgebildeten ärztlichen
Leistungen und ihren Bewertungen andererseits unterscheiden. Das Leis-
tungsverzeichnis ist tatsächlich nicht mehr in der Lage, die moderne
Medizin mit allen Neuentwicklungen der letzten zwanzig Jahre ausrei-
chend abzubilden. Auch der Vergütungsrahmen ist hoffnungslos veraltet.
Wesiack: „Hände weg
von der erfolgreichen
fachärztlichen Versorgung
in Deutschland“
So sollen Zulassungen befristet wer-
den, was dazu führen muss, dass sich
kaum noch ein Facharzt niederlassen
wird, weil er befürchten muss, dass
er nach Ende der Befristung auf sei-
nen Investitionen sitzen bleiben
wird. Überversorgung soll immer zu
Praxisschließungen führen. Abgese-
hen von der Problematik der fakti-
schen Enteignung der Praxisinhaber
würde die Versorgung endgültig
planwirtschaftlich organisiert – mit
den typischen Folgen. Wenn man oft
genug Praxen geschlossen hat und
gleichzeitig den Anreiz zur Nieder-
lassung bremst, steht in kurzer Zeit
eine generelle Unterversorgung vor
der Tür. Diese wird dann von den
gleichen Kassenvorständen bejam-
mert werden, die jetzt die Praxis-
schließungen fordern.
Der BDI weist auf das Schärfste die
Unterstellung von Dr. Partsch zurück,
dass Ärzte bei der Codierung betrü-
gen. Zynisch ist die Bemerkung, dass
sie das wohl nicht bewusst tun.
Nach dieser Pressekonferenz ist klar:
Der GKV Spitzenverband will die
ambulante Versorgung nicht verbes-
sern, sondern in wesentlichen Teilen,
nämlich bei den Fachärzten, liquidie-
ren.
Pressemitteilung des BDI
vom 28. Februar 2014
Ambulante fachärztliche Versorgung
Der GKV-Spitzenverband Bund will die ambulante fachärztliche
Versorgung liquidieren. Unter dem Titel „ambulante Patientenver-
sorgung verbessern“ machen Johann-Magnus von Stackelberg und
Dr. Manfred Partsch für den Spitzenverband der GKV (Spi-Bu) Vor-
schläge, deren Umsetzung tiefe Einschnitte in die ambulante fach-
ärztliche Versorgung bedeuten würde. Man glaubt, dass man durch
einen Abbau der ambulant tätigen Fachärzte den Hausärztemangel
in der Fläche beheben kann.