330_0029_184366_BDI_aktuell_24 - page 4

Seit über einem halben Jahr ist das
GKV-Versorgungsstärkungsgesetz nun
schon in Kraft. Zeit für eine erste Be-
standsaufnahme. Diese beleuchtet
nicht das gesamte Gesetzeswerk, son-
dern beschäftigt sich mit den Themen,
die den Versicherten und den Patien-
ten laut großer Koalition angeblich am
meisten Sorge bereiten: die Terminser-
vicestellen und das Recht auf Zweit-
meinung.
Über die Notwendigkeit von Ter-
minservicestellen wurde im letzten
Jahr kontrovers diskutiert, auch in BDI
aktuell haben wir hierüber berichtet.
Ausgehend vom Koalitionsvertrag hat
vor allem der Koalitionspartner SPD
darauf gedrängt, eine Garantie für
Termine beim Facharzt gesetzgebe-
risch zu verankern. Den Patienten
wird das Recht eingeräumt, innerhalb
von vier Wochen einen Termin beim
Facharzt zu erhalten. Nicht sehr offen-
siv hat die Bundesregierung hingegen
dargestellt, dass bei den Terminser-
vicestellen die freie Arztwahl nicht
mehr funktionieren wird. Außerdem
werden Termine nur nach notfallmäßi-
ger Überweisung vergeben, sodass
Routineuntersuchungen und Bagatell-
fälle nicht in die Förderung fallen. Es
kann passieren, dass der Facharzt sich
den Patienten nur ansieht, um nach-
folgend weitere Termine für Diagnos-
tik und Therapie zu vereinbaren, wenn
es sich nicht um einen Notfall handelt.
Finanziert aus dem Vertragsarztbudget
Seit Ende Januar sind die Servicestel-
len der Kassenärztlichen Vereinigun-
gen aktiv – übrigens bezahlt aus dem
Budget der Vertragsärzte. Die geringen
Nutzungszahlen der ersten Wochen
zeigen: Die Politik hat mit dem Gesetz
zu Terminservicestellen klar am Be-
darf des Wählers vorbei regiert.
Bei einem zweiten wichtigen gesetz-
lich geregelten Thema, dem Recht auf
Zweitmeinung, wurde der Gemeinsa-
me Bundesausschuss (GBA) aufgefor-
dert, bis Ende vergangenen Jahres in
einer Richtlinie die planbaren Eingriffe
zu benennen, bei denen im Hinblick
auf die Mengenentwicklung die Ge-
fahr einer Indikationsausweitung ver-
mutet wird. In diesen Fällen soll ein
Anspruch auf Einholung einer Zweit-
meinung bestehen. Hier handelt es
sich erneut um einen Fall, in dem die
Politik versucht, Kosteneinsparungen
zu generieren und dies mit einem
Mehrwert für Patienten, Versicherte
und Wähler scheinbegründet.
GBA überzieht die Frist
Der Gemeinsame Bundesausschuss
muss die Vorgabe dennoch umsetzen.
Er hat zu definieren, bei welchen Ein-
griffen ein Anspruch auf Zweitmei-
nung besteht und welche Anforderun-
gen an die beauftragten Gutachter ge-
stellt werden müssen. Trotz der gesetz-
lichen Vorgabe konnte der Termin
nicht eingehalten werden, weil noch
eine umfangreiche wissenschaftliche
Aufarbeitung zur Vorbereitung nötig
ist. Auch muss die Vergütung der Gut-
achter noch geklärt werden. Der GBA
ist deshalb gezwungen, die gesetzliche
Zeitvorgabe um mindestens ein halbes
Jahr zu überziehen.
Das Ziel der Kostendämpfung
durch Zweitmeinung wird dadurch
entlarvt, dass der Gesetzgeber nur ein-
seitig den Versicherten dieses Recht
einräumen will. Zweitmeinung wird
nur gefragt, wenn operiert werden soll.
Trifft der behandelnde Arzt die Ent-
scheidung gegen eine operative Be-
handlung, hat der Patient kein Recht,
dies per Zweitmeinungsgesetz zu hin-
terfragen. Wenn es tatsächlich Wille
der Politik wäre, die Versorgung der
Patienten zu verbessern, dann kann
das Recht auf eine Zweitmeinung kei-
ne Einbahnstraße sein. Vielmehr muss
die Gelegenheit geschaffen werden,
auch die Indikation zu einer konserva-
tiven Behandlung mit der Frage über-
prüfen zu lassen, ob nicht eine operati-
ve Therapie zweckmäßiger ist.
Wie bereits vor dem Gesetzge-
bungsverfahren von Teilen der Ärzte-
schaft vorausgesagt, bleibt ein Versor-
gungsvorteil für die Versicherten somit
aus. Es wurde wiederum die Chance
vergeben, sinnvolle Strukturverände-
rungen anzustoßen und die Versor-
gung zu verbessern. Man hat sich für
politischen Populismus entschieden.
Gesetzgeber regiert
am Wählerwillen vorbei
Terminservicestellen und
Zweitmeinung sind wichtige
Bausteine des Versorgungs-
stärkungsgesetzes. Doch
eine erste Bilanz zeigt, dass
das Gesetz sein Ziel
verfehlt hat: Der Vorteil für
die Patienten bleibt aus.
Von Tilo Radau
Terminservicestelle der KV Hessen: Die Mitarbeiter sollen Anrufern einen schnellen Facharzttermin vermitteln.
© KV HESSEN
8500
Fälle
wurden in den ersten sechs
Wochen nach dem Start der
Terminservicestellen von zwölf
der 17 KVen vermittelt. Die Nach-
frage hält sich laut KBV damit
„in Grenzen“.
Die Nachfrage nach dem neuen Ter-
minservice hat sich in den ersten Wo-
chen des Angebots „in engen Gren-
zen“ gehalten. Das teilte die KBV auf
Anfrage von BDI aktuell mit. Bei den
zwölf Kassenärztlichen Vereinigungen,
die das Webtool der KBV-Telematik
nutzen, wurden vom Start der Termin-
servicestellen am 25. Januar bis An-
fang März nur rund 8500 Termine
vermittelt. Insgesamt gehe man für alle
17 KVen von „grob geschätzt“ 12000
vermittelten Terminen aus, so KBV-
Sprecher Dr. Roland Stahl. Demge-
genüber stehen 580 Millionen Arzt-
Patienten-Kontakte jährlich.
Die Zahl der Anrufer liegt dabei
wesentlich höher als die der vermittel-
ten Termine. Denn viele Anrufer wis-
sen nicht, dass sie für den Service den
Vermerk der Dringlichkeit auf ihrem
Überweisungsschein benötigen. Nach
der ersten Woche hatten sich laut
Stahl rund 75 Prozent der Anrufe als
solche herausgestellt, bei denen die
Terminservicestellen „einfach mal aus-
probiert werden sollten“ oder bei de-
nen der Anrufer nicht die Vorausset-
zungen für eine Vermittlung erfüllte.
Laut Beobachtungen der KV Baden-
Württemberg – hier wurden bis Ende
Februar 546 von 2224 Terminanfra-
gen vermittelt – forderten auch viele
Anrufer einen Termin bei ihrem
Wunscharzt. Dafür ist die Terminser-
vicestelle aber nicht vorgesehen.
Auch wenn sich die Zahl der „Fehl-
anrufe“ in den vergangenen Wochen
bereits geringfügig verringerte, bleibt
die Problematik, dass viele nicht wis-
sen, wann sie sich an die Terminser-
vicestelle wenden dürfen. Die vorlie-
genden Nutzungszahlen bestätigten
daher die grundlegende Kritik an der
Sinnhaftigkeit der Terminservicestel-
len, so KBV-Sprecher Stahl.
In keiner der 17 KVen ist die Diffe-
renz zwischen Anrufern und Vermitt-
lungen bisher durch mangelnde Fach-
arzttermine verschuldet: Bis Redakti-
onsschluss lag keine Rückmeldung
vor, dass ein Patient an eine Klinik
hätte vermittelt werden müssen. Im
Gegenteil: Allein in Hessen stehen laut
KV für das erste Quartal rund 40000
gemeldete Termine zur Verfügung.
Zu den am häufigsten nachgefrag-
ten Fachgruppen gehören laut Anga-
ben der KVen Neurologen, Kardiolo-
gen, Radiologen sowie Endokrinolo-
gen. In Hamburg waren in den ersten
Wochen Rheumatologen besonders
gefragt, in Thüringen Augenärzte.
In den KVen sorgt der neue Ter-
minservice angesichts der geringen
Nutzungszahlen weiter für Kritik. Die
Gesamtzahl der vermittelten Termine
in Hamburg etwa – im ersten Monat
waren es zwischen 30 und 55 pro Wo-
che – hält das dortige KV-Vorstands-
mitglied Dr. Stephan Hofmeister für
„lächerlich niedrig“. Er sprach von ei-
nem „Schildbürgerstreich ersten Ran-
ges“. Die KV Baden-Württemberg
nannte den Service ein „Placebo“.
Die KBV warnt aber vor zu schnel-
len Schlüssen. „Fakt ist, dass die Ter-
minservicestellen funktionieren“, be-
tonte Stahl. Anfang Mai soll ein aus-
führliches Fazit gezogen werden.
(jk)
Wochen nach dem Start der
Terminservicestellen stehen
die Telefone vielerorts still.
Und Patienten, die anrufen,
haben oft keinen Anspruch.
Nachfrage nach Terminservice ist gering
4
April 2016
BDI aktuell
Berufspolitik
Nach den jüngsten Entwicklungen
an der Front der Gebührenordnung
für Ärzte wird ein gemeinsamer
Entwurf von privater Krankenversi-
cherung und Bundesärztekammer
immer unwahrscheinlicher. Selbst
wenn eine abgestimmte Fassung bei
Gesundheitsminister
Hermann
Gröhe abgeliefert würde, wäre noch
lange nicht sicher, dass eine novel-
lierte GOÄ in dieser Legislaturperi-
ode auch umgesetzt werden kann.
Dies nicht nur, weil Gröhe mit
seinen Beamten die Vorlage noch
einmal in Gänze überprüfen wird,
da der Beihilfe möglicherweise die
vereinbarten Arzthonorare immer
noch zu hoch sind.
So deutet es Lauterbach
Auch Professor Karl Lauterbach
hat sich als stellvertretender Frakti-
onsvorsitzender der SPD zu diesem
Thema geäußert. Er werte die der-
zeitigen Daten für die novellierte
GOÄ insgesamt positiv und sieht in
ihnen eine gute Grundlage für die
anstehenden Beratungen zu einer
Bürgerversicherung, die von der
SPD als Wahlschlager vorgesehen
ist. Im Gegensatz zu dem Reprä-
sentanten der Bundesärztekammer
hat er verstanden, dass der seither
bekannte Entwurf den Weg in diese
Richtung öffnet und nicht verhin-
dert.
Zur Klarstellung: Die GOÄ ist
zwar eine Rechtsverordnung des
Bundesgesundheitsministeriums,
bei einer Änderung der Bundesärz-
teordnung zur Einführung der ge-
meinsamen Kommission zur Wei-
terentwicklung der GOÄ (GeKo)
muss aber wohl auch der Bundes-
tag zustimmen. Und genau hier
spielt die SPD nicht mit, weil eine
GOÄ-Novellierung nicht Bestand-
teil des Koalitionsvertrages ist und
ihr die vermuteten Honorare für die
Ärzte zu hoch sind. Ob der Bundes-
gesundheitsminister wegen einer
Gebührenordnung für Ärzte, die
bei den Betroffenen selbst umstrit-
ten ist, es auf eine Kampfabstim-
mung im Bundestag ankommen
lässt, ist mehr als fraglich. Selbst
wenn der Bundestag zustimmen
würde, muss noch der Bundesrat
gefragt werden, hier ist aber wegen
der zu erwartenden Kostendämp-
fung durch eine Novellierung der
GOÄ bei der Beihilfe auch bei den
SPD-geführten Ländern mit einer
Zustimmung zu rechnen.
Bürgerversicherung nicht vom Tisch
In dieser Gemengelage scheint fol-
gendes Szenario nicht ausgeschlos-
sen. Aufgrund der Streitigkeiten
zwischen Privater Krankenversiche-
rung und Bundesärztekammer oder
aufgrund einer Blockade-Politik im
Bundestag durch die SPD, kommt
eine Novellierung der GOÄ nicht
auf den Weg. Die SPD übernimmt
aber gerne die ordnungspolitischen
Ansätze, um das Thema Bürgerver-
sicherung voranzutreiben. Hier hät-
te die Bundesärztekammer dann
der SPD effektiv zugearbeitet.
Gleichzeitig wären aber Honorar-
steigerungen für die Ärzte nicht zu-
stande gekommen.
In einem solchen Fall darf man
gespannt sein, wie der Präsident der
Bundesärztekammer dies auf dem
nächsten Ärztetag noch als Erfolg
verkaufen will.
GOÄ-Debatte:
Fortsetzung folgt
DER CHEFREDAKTEUR MEINT
Schreiben Sie dem Autor unter:
Von Dr. Hans-Friedrich
Spies
1,2,3 5,6,7,8,9,10,11,12,13,14,...24
Powered by FlippingBook