330_0029_186761_BDI_aktuell_24 - page 6

6
Juni 2016
BDI aktuell
119. Deutscher Ärztetag
Vier Tage lang wurde in Hamburg dis­
kutiert und abgestimmt. Dabei haben
die Delegierten des 119. Deutschen
Ärztetages vom 24. bis 27. Mai rich­
tungsweisende Beschlüsse für die
künftige Versorgung, aber auch für das
Dauerthema GOÄ­Novelle getroffen.
Für die GOÄ­Reform könnte das
nun tatsächlich der Neustart sein. Un­
ter enger Einbindung der Fachgesell­
schaften und Berufsverbände soll zu­
nächst ein eigener Ärzte­Entwurf der
GOÄneu erarbeitet werden. Die ope­
rative Arbeit liegt dabei zwar in Ver­
antwortung des neuen Vorsitzenden
der Gebührenordnungskommission,
Dr. Klaus Reinhardt. Die politisch­
strategische Verantwortung liegt je­
doch beim Präsidenten der Bundesärz­
tekammer, also bei Professor Frank
Ulrich Montgomery. Dieser gab in sei­
ner Eröffnungsrede am Dienstag, den
24. Mai, durchaus zu, in der Vergan­
genheit Fehler gemacht zu haben:
„Der Vorstand hat sich regelmäßig in­
formieren lassen ... Aber wir alle – und
da schließe ich mich selbst ausdrück­
lich mit ein – haben die Komplexität
dieses Prozesses unterschätzt. Wir hät­
ten uns früher und intensiver um die
Details und ihre Wechselwirkungen
zur grundlegenden Struktur kümmern
müssen. Ich muss mich persönlich mit
dem Vorwurf auseinandersetzen, wir
hätten den Prozess zu lange nur be­
gleitet, statt einzugreifen.“
Zusatzaufwand muss vergütet werden
Für die neuen Reformgespräche und
insbesondere eine Zustimmung der
Ärzteschaft zu einem letztlich mit
PKV und Beihilfe erarbeiteten bzw.
abgestimmten GOÄ­Entwurf – denn
diesen verlangt das Bundesgesund­
heitsministerium – haben die Dele­
gierten eine Reihe von Forderungen
beschlossen. Die Wesentlichen sind:
Die Rahmenbedingungen der GOÄ­
neu dürfen nicht dazu führen, dass
das Gebührenwerk zu einem Hono­
rarsteuerungssystem umgeformt wird.
Die Leistungslegendierungen und
­bewertungen sowie die neue Steige­
rungssystematik entsprechen auch
durch Unterstützung der Fachgesell­
schaften und Berufsverbände den wis­
senschaftlich­medizinischen Erkennt­
nissen des Jahres 2016. Dabei müssen
die Bewertungen einer betriebswirt­
schaftlichen Kalkulation folgen.
Zusatzaufwand, der sich aus der
Leistung und den Umständen ihrer
Erbringung bzw. patientenbezogen er­
gibt, muss in entsprechenden Zusatz­
leistungen oder über Steigerungsfak­
toren abbildbar sein.
Das Angebot von individuellen Ge­
sundheitsleistungen (IGeL) wird
durch die GOÄ nicht behindert.
Sprechende Medizin und Leistun­
gen der Grundversorgung müssen
besser als bisher bewertet werden.
Die Aufgaben der gemeinsamen
Kommission von Ärzten, PKV und
Beihilfe müssen auf die Erarbeitung
konsentierter Empfehlungen zur Wei­
terentwicklung der GOÄ beschränkt
werden.
Nach wie vor umstritten bleibt, ob die
Bundesärztekammer nicht weitaus of­
fensiver eine Erhöhung des Honorar­
niveaus fordern sollte. Im Raum steht
derzeit eine als tolerabel empfundene
Erhöhung um 5,8 Prozent. Nicht prä­
zisiert ist, was die Ausgangsbasis für
diese Wachstumsrate sein soll, die sich
auf einen Zeitraum von drei Jahren er­
strecken soll (siehe auch Bericht auf
Seite 9). Kritisch wurde dazu ange­
merkt, dass Kassenärztliche Vereini­
gungen in Verhandlungen mit den
Kassenverbänden derzeit jährliche Ab­
schlüsse von etwa vier Prozent Hono­
rarzuwachs erzielen können, so der
baden­württembergische KV­Vorsit­
zende Dr. Norbert Metke.
E­Card für alle Flüchtlinge
Aber auch die medizinische Versor­
gung von Flüchtlingen beschäftigte
die Delegierten: Rund eine halbe Mil­
lion Schutzsuchende seien im vergan­
genen Jahr nach Deutschland gekom­
men, ohne die vielen Tausend ehren­
amtlichen Ärzte und anderen Helfer
sei deren medizinische Versorgung
kaum zu stemmen gewesen. Die Dele­
gierten sprachen sich daher insbeson­
dere dafür aus, allen Flüchtlingen eine
elektronische Gesundheitskarte auszu­
händigen, und zwar unabhängig von
ihrem Aufenthaltsstatus. Ohne die
Karte müssen die Betroffenen bisher
in einem bürokratischen Verfahren ei­
nen Behandlungsschein beantragen.
Aktuell gibt es einen Flickentep­
pich von Regelungen (wir berichteten
in Ausgabe 11/2015). Einzelne Bun­
desländer haben die Karte bereits vor
mehreren Jahren eingeführt. Hamburg
etwa berichtet von Einsparungen in
Höhe von 1,6 Millionen Euro im ers­
ten Jahr nach der Ausgabe der Ge­
sundheitskarten. Andere Länder wie
Bayern und Sachsen lehnen die Karte
für Flüchtlinge aus grundsätzlichen
Erwägungen ab.
Großes Thema war zudem die zu­
nehmende Ökonomisierung der Me­
dizin: Leitende Ärzte in Krankenhäu­
sern befänden sich in einem perma­
nenten Spannungsfeld zwischen medi­
zinischen Vorgaben und ökonomi­
schen Sachzwängen, hieß es in Ham­
burg. „Wer uns Ärzte als Leistungser­
bringer dazu verpflichten will, Leis­
tungen zu verkaufen, der darf sich
nicht wundern, wenn sich dieses Sys­
tem dann nach betriebswirtschaftli­
chen Kriterien organisiert“, sagte der
Präsident des Verbandes der Leiten­
den Krankenhausärzte Deutschlands,
Professor Hans Fred Weiser aus Düs­
seldorf, in einer einleitenden Rede.
Klare Grenzen für Zielvereinbarungen
Mit Blick auf die Diskussion um Bo­
nuszahlungen für Chefärzte wurde im
Plenum darauf hingewiesen, dass der
Paragraf 135c SGB V im Zuge des
Krankenhausstrukturgesetzes neu for­
muliert worden ist. Danach muss die
Deutsche Krankenhausgesellschaft im
Einvernehmen mit der Bundesärzte­
kammer Empfehlungen abgeben, um
sicherzustellen, dass im Arbeitsalltag
konkrete Zielvereinbarungen ausge­
schlossen sind: Es geht dabei um sol­
che Vereinbarungen, die auf finanziel­
le Anreize insbesondere für einzelne
Leistungen, Leistungsmengen, Leis­
tungskomplexe und Messgrößen ab­
stellen.
Konsens gab es bei den Delegier­
ten, dass Ökonomisierung dann abzu­
lehnen sei, wenn betriebswirtschaftli­
che Parameter individuelle und insti­
tutionelle Ziele ärztlichen Handelns
definieren, ohne dass es eine medizini­
sche Begründung gibt, die sich am Pa­
tientenwohl orientiert. Diese Position
wurde in einem entsprechenden Ent­
schließungsantrag formuliert, für den
sich eine breite Mehrheit der Dele­
gierten in der Abstimmung ausgespro­
chen hat. „Die Medizin darf nicht auf
Messbares reduziert werden, vielmehr
muss der persönlichen ärztlichen Zu­
wendung zum Patienten mehr Ge­
wicht eingeräumt werden“, heißt es in
dem Beschluss.
Vom Tisch ist nun auch die Fusion
der Akademie für Allgemeinmedizin
mit der Akademie der Gebietsärzte.
Den schon beim Ärztetag 2015 anvi­
sierten Plan, mit Blick auf eine bessere
Verzahnung der BÄK­Gremien eine
Gemeinsame Akademie zu gründen,
lehnten die Delegierten in Hamburg
ab. Eine Verschmelzung würde weder
Ressourcen sparen, noch die Gremien­
struktur verbessern. lautete die Begrün­
dung. Ganz im Gegenteil: Der Erhalt
der Akademien sei sachgerecht, da nur
auf diese Weise die Möglichkeit ge­
schaffen werde, spezifische Versor­
gungsthemen auch in der „gebühren­
den Differenziertheit“ zu diskutieren.
Insgesamt kommt das Beschluss­
protokoll des 119. Ärztetags übrigens
auf 280 Seiten.
Nach einer kontroversen Debatte hat der Deutsche Ärztetag
den BÄK­Vorstand erneut damit beauftragt, die Verhand­
lungen zur GOÄ­Reform fortzuführen – allerdings mit
einem eigenen ärztlichen Entwurf zur „GOÄneu“. Zudem
positionierten sich die Delegierten klar gegen die zuneh­
mende Ökonomisierung in der Medizin. Und forderten
bessere Strukturen für die Versorgung von Flüchtlingen ein.
GOÄ, Bonusverträge und Co:
Von Christoph Fuhr, Rebekka Höhl, Helmut Laschet und Florian Staeck
Eröffnungsfeier mit den Hamburger Symphonikern in der Laeiszhalle.
Aufmerksamer Zuhörer: BDI­Präsident Dr. Spies.
BÄK­Präsident Prof. Montgomery und Gesundheitsminister Gröhe im Gespräch.
Die Verärgerung vieler Berufsver­
bände über den Präsidenten der
Bundesärztekammer, Prof. Frank
Ulrich Montgomery, hat zu seinem
Abwahlantrag auf dem Deutschen
Ärztetag geführt. Hauptursache war
das Management der GOÄ­Novellie­
rung, dass vielen dilettantisch vor­
kam. Man hatte erwartet, dass der
Präsident die politische Verantwor­
tung übernimmt und mindestens die
Vertrauensfrage stellt. Dazu konnte
er sich nicht durchringen.
Ärger hat auch der Stil der Ausein­
andersetzung ausgelöst. So wurde
sachliche und inhaltliche Kritik vom
Präsidenten oft mit persönlichen
Attacken beantwortet, was nicht zur
Vertrauensbildung beigetragen hat.
Es fehlt Montgomery die Integra­
tionskraft, die man von einem
Präsidenten der Bundesärztekam­
mer erwartet.
Er hat aber in dem Moment Stil be­
wiesen, als er dem Ärztetag empfoh­
len hat, den Antrag auf Nichtbefas­
sung mit der Abwahl abzulehnen.
Er wollte die Abstimmung. Der Deut­
sche Ärztetag hat sich dieser Ent­
scheidung durch einen Geschäfts­
ordnungstrick aber entzogen. Er hat
es einfach abgelehnt, den Antrag
auf die Tagesordnung zu setzen.
Montgomery hat danach den Ärzte­
tag souverän und ohne überflüssige
Kommentare als Sitzungsleiter gelei­
tet. Man kann nur hoffen, dass er
dies auch bei den anstehenden
Verhandlungen zur Novellierung der
GOÄ beibehält.
Ein Wort zum
BÄK­Präsidenten
KOMMENTAR
Schreiben Sie dem Autor unter:
berufspolitik@bdi­aktuell.de
Von Dr. Hans­Friedrich Spies
Präsident des BDI
1,2,3,4,5 7,8,9,10,11,12,13,14,15,16,...24
Powered by FlippingBook