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BDI aktuell
Juni 2016
Berufspolitik
Einmal mehr ruckelt es beim Dauer­
projekt elektronische Gesundheitskar­
te (eGK). Die Fristen, die Gesund­
heitsminister Hermann Gröhe mit
dem E­Health­Gesetz vorgegeben hat,
um die zugehörige Telematikinfra­
struktur und die Anwendungen der
eGK nach über 12 Jahren endlich vor­
anzutreiben, wackeln – und das gerade
an der empfindlichsten Stelle, der On­
line­Anbindung.
Bereits im April war in Berlin auf
der Gesundheits­IT­Messe conhIT aus
Industriekreisen zu hören, dass die zu­
nächst aufs zweite und dann nochmals
aufs dritte Quartal 2016 verschobenen
Tests für den Online­Abgleich der Ver­
sichertenstammdaten wohl nicht ein­
mal mehr in diesem Jahr stattfinden
werden. Damit würden auch bei den
weiteren Online­Anwendungen der
Gesundheitskarte, bei denen weitaus
sensiblere Daten transportiert werden
sollen, Verzögerungen drohen.
Denn das Problem soll bei den
Kartenlesern und Konnektoren liegen.
Hier würden bislang keine vom Bun­
desamt für Sicherheit in der Informati­
onstechnik (BSI) zertifizierten Geräte
vorliegen. Einige Industrievertreter
zeichnen sogar ein weitaus drastische­
res Bild: Die Kartenlesegeräte die der­
zeit in den Praxen in Betrieb sind,
müssten vor dem Online­Gang kom­
plett ausgetauscht werden ­weil sie
den neuen Spezifikationen also Vorga­
ben der gematik (der Betreibergesell­
schaft der Datenautobahn für die
eGK) und des BSI nicht gerecht wür­
den.
Wenige Wochen später, im Mai,
schlug dann auch die KBV Alarm, die
übrigens Mitgesellschafter der gematik
ist: Die gematik werde die Fristen rei­
ßen und die Industriekonsortien, T­
Systems und CompuGroup Medical,
die mit den Online­Tests beauftragt
wurden, hätten keine neuen Zeitpläne
zur Auslieferung der erforderlichen
Technik vorgelegt. „Wir haben nichts“,
erklärte Bernd Greve von der KBV in
Berlin.
Selbst der BMG­Puffer ist in Gefahr
Das E­Health­Gesetz verpflichtet die
gematik­Gesellschafter eigentlich dazu,
bis zum 30. Juni die Testläufe in zwei
Regionen zu starten. Auch der Puffer,
den das Gesundheitsministerium
(BMG) bis Jahresende eingeräumt hat,
sei in Gefahr, so Greve. Diesen hatte
Dr. Stefan Bales vom BMG noch bei
einer Diskussionsrunde im Rahmen
der conhIT bestätigt. „Wir haben bis
Ende des Jahres Spielraum“, sagte er
mit Blick auf die für die Selbstverwal­
tung drohenden Sanktionen. Bales sag­
te auch deutlich, dass bereits klar sei,
dass die Selbstverwaltung das dritte
Quartal als Termin nicht halten könne.
Dennoch sei man im BMG „sehr opti­
mistisch, dass der Zeitplan des E­
Health­Gesetzes umgesetzt wird.“
Greve sieht dies anders: Es sei of­
fensichtlich, dass die vorgeschriebenen
Termine nicht ohne massive Verände­
rungen an der Teststrategie gehalten
werden könnten.
Die Sanktionen, mit denen der Ge­
setzgeber Verspätungen bei der Auf­
nahme von Testläufen belegt hat, wür­
den die Ärzte, die Zahnärzte und die
Kassen empfindlich treffen. „Wir
müssten Aufgaben einstellen“, warnte
KBV­Chef Dr. Andreas Gassen. In
den Haushalten sei kein Spielraum,
um die Sanktionen einfach wegzuste­
cken. Das E­Health­Gesetz sieht im
Falle von Verspätungen vor, die Haus­
halte von Kassenärztlicher und Kas­
senzahnärztlicher Bundesvereinigung
sowie des GKV­Spitzenverbands auf
dem Niveau von 2014 abzüglich ein
Prozent einzufrieren.
Gassen: Es trifft die Falschen
Die betroffenen Körperschaften hof­
fen nun auf ein Gespräch mit Ge­
sundheitsminister Gröhe. „Die Sankti­
onen treffen die Falschen“, sagte Gas­
sen. Das E­Health­Gesetz enthalte ei­
nen Webfehler. Als Auftraggeber habe
die gematik nur einen begrenzten Ein­
fluss auf die Industrie. Es müsse der
Politik klar sein, dass es um Millionen
Euro gehe, die den Haushalten der
betroffenen Körperschaften entzogen
würden und dann nicht mehr zur Er­
füllung der Versorgungsaufträge zur
Verfügung stünden.
Doch es gibt auch gute Nachrich­
ten: Beim ebenfalls durch das E­
Health­Gesetz vorgegebenen Medika­
tionsplan läuft bislang alles fristge­
recht. Allerdings startet der Plan, der
die Arzneitherapiesicherheit erhöhen
soll, zunächst auch nur in Papierform.
Kassenpatienten, die mindestens drei
Medikamente verordnet bekommen,
haben einen Anspruch darauf, dass ihr
Arzt einen solchen Plan ab Oktober
für sie erstellt. Wobei die Hauptver­
antwortung beim Hausarzt liegen soll,
Fachärzte sollen nur in Ausnahmen
den Plan erstellen und ihn ansonsten
mit pflegen.
Pünktlich zum 30. April hatten sich
Bundesärztekammer, KBV und Deut­
scher Apothekerverband (DAV) auf
eine Rahmenvereinbarung zur Gestal­
tung des Plans geeinigt. Diese gibt ab­
gesehen von Inhalt und Struktur auch
die Regeln zur Aktualisierung sowie
ein Verfahren zur Fortschreibung des
Medikationsplans vor. Demnach müs­
sen Angaben zu Wirkstoff, Handels­
name, zur Stärke, zur Darreichungs­
form, Hinweise zur Dosierung und
zur sonstigen Anwendung sowie zum
Anwendungsgrund der eingenomme­
nen Arzneimittel auf dem Plan gelistet
werden – in dieser Reihenfolge.
Und auch die technische Umset­
zung durch die Softwarehäuser kann
nun starten. Denn just am 2. Juni ha­
ben Selbstverwaltung und der Bundes­
verband Gesundheits­IT bekannt gege­
ben, dass sie sich auf die technischen
Vorgaben geeinigt haben. Wichtig ist
dabei: Die Daten sollen durch die Pra­
xissoftware auch aus anderen Medika­
tionsplänen elektronisch auslesbar sein
und die Verordnungssoftware soll di­
rekt mit dem Modul für den Medikati­
onsplan kommunizieren. Dabei soll
ebenso das Einlesen der Medikations­
daten aus elektronischen Arztbriefen
möglich sein. Über einen 2­D­Barcode
soll der Papierplan schnell via Bar­
code­Scanner in die Praxis­EDV vor
Ort übertragen werden können. Das
sogenannte Ultrakurzformat auf das
sich Industrie und Selbstverwaltung
verständigt haben kann immerhin bis
zu 40 Arzneimittel abbilden.
Gute Nachrichten und Hiobs­
botschaften wechseln sich
bei der Technik rund um die
elektronische Gesundheits­
karte derzeit ab. Während es
beim Medikationsplan Fort­
schritte gibt, fürchtet die
KBV, durch die absehbaren
neuen Verzögerungen beim
Online­Rollout unverschuldet
sanktioniert zu werden.
E­Health: Die Angst vor Sanktionen geht um
SCHWERPUNKT
Von Rebekka Höhl und Anno Fricke
Bei der Anbindung der Praxen an die Datenautobahn der E­Card drohen erneut Verzögerungen.
© [M] RA2 STUDIO / FOTOLIA.COM / TILL SCHLÜNZ
28
Cent – gerade einmal so viel
sollen
Ärzte für das Versenden eines elek­
tronischen Arztbriefes erhalten. Das
E­Health­Gesetz sieht zwar eine
Förderpauschale von 55 Cent für
das Jahr 2017 vor. Doch diese sol­
len sich Ärzte nach einer kürzlich
verabschiedeten Richtlinie der KBV
teilen. Demnach erhält der Empfän­
ger des E­Arztbriefes die übrig blei­
benden 27 Cent. Denn auch dieser
müsse ja die notwendige sichere
Technik vorhalten, so die KBV.
ie Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV)
hat derzeit gleich mit mehreren Schieflagen
zu kämpfen und ist in einem desolaten Zu­
stand. Hauptproblem ist, dass ihre beiden zerstritte­
nen Vorsitzenden nicht mit, sondern gegeneinander
arbeiten. Darüber hinaus überschätzt die Vertreter­
versammlung (VV) ihre Kompetenz und ist unterei­
nander heillos zerstritten.
Das Bundesgesundheitsministerium (BMG) sieht
die Vergangenheit der KBV als bisher noch nicht zu­
friedenstellend aufgearbeitet und fordert eine Klä­
D
rung und Offenlegung der bestehenden Probleme.
Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU)
ließ die Spitzen von KBV und VV noch vor ihrer Ta­
gung in Hamburg wissen: Führt die VV bis zum 23.
Mai 2016 keine Beschlüsse zur Auf­
arbeitung der Finanzierung der
KBV­Immobiliengeschäfte und der
Pensionszahlungen herbei, und kann
sie dem BMG keine befriedigenden
Antworten liefern, werde das Minis­
terium die Geschäfte der KBV über­
nehmen oder einen Staatskommissar als Rechtsauf­
sicht zur Leitung der Vereinigung einsetzen.
Kurz vor knapp fasste das exakt am 23. Mai in
Hamburg – hinter verschlossenen Türen – tagende
Parlament der Vereinigung tatsächlich eine Vielzahl
von Beschlüssen, um das BMG zu besänftigen und
die Aufsicht doch noch zu verhindern. Es gilt aber
weiterhin: Sollten die Beschlüsse nicht ausreichend
sein und die Auflagen der Aufsicht zur Vergangen­
heitsbewältigung nicht erfüllt werden, droht der
Staatskommissar. Mit einem Staatskommissar wird
die KV jedoch nicht untergehen. Der Ruf der Man­
datsträger und der ärztlichen Selbstverwaltung wür­
de nur weiter ramponiert. Zudem kann der Staats­
kommissar vielleicht, durch die Einhaltung der For­
malien und der Klärung der Zuständigkeiten inner­
halb der KBV, die emotional aufgeladene Stimmung
etwas entschärfen.
Ihr
Nun ist die KBV am Zug
EDITORIAL
Von Dr. Hans­Friedrich Spies
Präsident des BDI
Hauptproblem ist, dass die beiden
zerstrittenen KBV­Vorsitzenden nicht
mit, sondern gegeneinander arbeiten.
Dr. Hans­Friedrich Spies
Niedergelassene Ärzte werden in
den kommenden Jahren angesichts
des demografischen Wandels mehr
von ihren Patienten in Anspruch
genommen. Einzelne Facharztgrup­
pen und Regionen werden beson­
ders betroffen sein, heißt es in einer
Analyse des Zentralinstituts für die
kassenärztliche Versorgung (ZI).
Dabei haben Wissenschaftler in ei­
ner Modellrechnung bis zum Jahr
2035 untersucht, wie sich der zu­
sätzliche relative Zeitaufwand für
die Patientenversorgung entwickelt.
Im Bundesdurchschnitt wächst die
Belastung am stärksten bei Urolo­
gen (23 Prozent), Augenärzten (20
Prozent) und Fachinternisten (15
Prozent).
(fst)
Ärzte werden
im Trend mehr
beansprucht
EXTRASCHICHT
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