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Medizin
Nr. 2 • Februar 2012
11
notwendig. Eine Monitorüberwa-
chung ist bei beiden Verfahren indi-
ziert, Patienten nach elektrischer Kar-
dioversion werden nachbeobachtet
bis die Wirkung der Sedierung abge-
klungen ist, während Patienten nach
medikamentöser Kardioversion je
nach verwendeter Substanz typi-
scherweise zwischen 2 und 8 Stunden
nach der Kardioversion am Monitor
überwacht werden sollten. Die medi-
kamentöse Kardioversion wird über-
wiegend bei Patienten mit VHF von
geringer (<48h) Dauer eingesetzt [4].
Die in Deutschland hierzu verfügba-
ren Substanzen sind Flecainid, Propa-
fenon und Amiodaron. Seit Dezember
2010 ist die neuartige Substanz Ver-
nakalant zur Kardioversion von VHF
mit bis zu 7 Tagen Bestehensdauer
(bzw. 3 Tagen nach einem herzchirur-
gischen Eingriff) in Deutschland zuge-
lassen. Allerdings ist auch der Einsatz
von Vernakalant innerhalb von 48
Stunden am erfolgversprechendsten.
Die Entscheidung zwischen medika-
mentöser und elektrischer Kardiover-
sion hängt wesentlich von der hämo-
dynamischen Stabilität des Patienten
ab. Ist diese nicht gegeben, scheidet
die medikamentöse Kardioversion als
Option aus. Andernfalls ist die Ent-
scheidung für eine gewisse Substanz
im Kontext einer zugrundeliegenden
relevanten strukturellen Herzerkran-
kung zu fällen.
kurzgefasst
Medikamentöse Kardioversion
macht eine Sedierung überflüssig; ist
allerdings nur bei hämodynamischer
Stabilität indiziert und bei kurzanhal-
tendem Vorhofflimmern (< 48 Stun-
den) erfolgversprechend.
Mechanismus der medikamentösen
Kardioversion
Zur medikamentösen Kardioversion
von VHF stehen Antiarrhythmika der
Klasse I und der Klasse III nach Vaug-
han-Williams sowie die neuartige
Substanz Vernakalant zur Verfügung.
Vernakalant ist die erste Substanz
einer eigenständigen, neuen Antiar-
rhythmika-Klasse. Es handelt sich um
ein so genanntes „vorhofselektives“
Antiarrhythmikum, das zur raschen
Kardioversion von VHF indiziert ist
[16]. Klasse-I-Antiarrhythmika inhi-
bieren myokardiale Natrium-Kanäle
und unterdrücken VHF durch Reduk-
tion der zellulären Erregbarkeit und
Destabilisierung der kreisenden Erre-
gungen [25]. Antiarrhythmika der
Vaughan-Williams-Klasse III greifen
an der verkürzten Refraktärzeit an,
um VHF zu terminieren oder ein Rezi-
div zu verhindern. Diese Substanzen
(Sotalol, Amiodaron) sind jedoch
durch bei hohen Frequenzen redu-
zierte Effektivität („reverse use-
dependence“) vor allem zur Rezidiv-
prophylaxe geeignet. Nach erfolgrei-
cher Kardioversion zeigen sie Erfolgs-
raten für den Sinusrhythmuserhalt
von ̴ 50% bis 80% nach einem Jahr
[31].
Vor der Wahl einer Substanz zur
medikamentösen Kardioversion ist es
wichtig, die Frage nach einer zugrun-
deliegenden kardialen Erkrankung zu
klären. Bei Patienten mit struktureller
Herzkrankheit insbesondere bei koro-
narer Herzkrankheit, hypertensiver
Herzerkrankung mit beträchtlicher
Hypertrophie oder Herzinsuffizienz
sollte die Applikation von Klasse-I-
Antiarrhythmika wegen des erhöhten
Risikos ventrikulärer Proarrhythmien
vermieden werden [7, 15]. Unter pro-
arrhythmischen Reaktionen sind hier-
bei bespielsweise Verbreiterung des
QRS-Komplexes, der Verlängerung der
QT-Zeit oder gar Auftreten ventrikulä-
rer Arrhythmien als Folge des Einsat-
zes von Antiarrhythmika zu verste-
hen. Bei Patienten ohne oder mit nur
geringer struktureller Herzkrankheit
sind oft Natriumkanal-Blocker (Fle-
cainid, Propafenon) die bevorzugten
Substanzen. Ein Vorteil von Vernaka-
lant ist die Einsetzbarkeit bei Patien-
ten mit koronarer Herzkrankheit und
milder, stabiler Herzinsuffizienz
(NYHA I&II). Vernakalant sollte nicht
bei Patienten mit schwerer Aorten-
klappenstenose und schwerer Herz-
insuffizienz eingesetzt werden. Bei
der Entscheidung für eine medika-
mentöse Kardioversion spielt die
Dauer der VHF-Episode ebenfalls eine
wichtige Rolle, da bei länger beste-
henden VHF die Wirksamkeit deutlich
reduziert ist [19, 20].
Kardioversion durch Klasse-I-
Antiarrhythmika
Antiarrhythmika der Klasse I (Flecai-
nid und Propafenon, Dosierung
jeweils: 1–2 mg/kg in 10 Minuten)
sind sehr effektiv für die Kardioversi-
on von VHF mit kurzer Bestehensdau-
er. Eine mittlere Konversionsrate von
̴ 32% nach 1–2 Stunden wurde für
VHF beschrieben, das < 1 Woche
bestand [5]. Diese Antiarrhythmika
sind deutlich weniger effektiv in der
Kardioversion von VHF, das Tage bis
Wochen bestand [29]. Beim Einsatz
von Klasse-I-Antiarrhythmika kann es
zu einer spezifischen Nebenwirkung
im Sinne einer Konversion des VHF in
Vorhofflattern mit nachfolgend 1:1
ventrikulärer Überleitung des Vorhof-
flattern kommen [1]. Aus diesem
Grund sollte bei Einsatz von Klasse-I-
Antiarrhythmika stets zusätzlich ein
Betablocker (oder Kalziumkanalblo-
cker) appliziert werden. Auch eine
ambulante Selbstmedikation mit Fle-
cainid oder Propafenon kann (i.S.
eines „pill in the pocket“-Vorgehens)
erfolgreich durchgeführt werden.
Hierbei nimmt der Patient selber eine
vorbestimmte Dosis des Antiarrhyth-
mikums zeitnah (innerhalb 30–60
Minuten) nach Auftreten von VHF-
Symptomen ein. Mit diesem Verfah-
ren können bis über 90% der Episoden
terminiert werden [1, 24].
Kardioversion durch Klasse-III-
Antiarrhythmika
Sotalol weist keine relevante Effizienz
zur akuten medikamentösen Kardio-
version auf [29], und auch Amiodaron
ist hinsichtlich der Konversions-
effektivität weniger potent als die
beschriebenen Klasse-I-Antiarrhyth-
mika, insbesondere ist die Dauer bis
zum Wirkungseintritt länger. Dies
verdeutlichte eine Metaanalyse von
sechs plazebokontrollierten Studien
zur Kardioversions-Effektivität von
Amiodaron [5].
Hierbei zeigten sich eine Stunde nach
Applikation mittlere VHF-Konversi-
onsraten Amiodaron, die in der Grö-
ßenordnung von plazebobehandelten
Patienten lagen. Erst nach 24 Stunden
war eine Überlegenheit von Amioda-
ron zu dokumentieren (Abb. 4A). In
einem zweiten Teil der Metanalyse
wurde die Effektivität von Amiodaron
im Vergleich mit Klasse-I-Antiarrhyth-
mika untersucht. Hier zeigte sich ein
ähnliches Bild, mit einer höheren
Effektivität der Klasse-I-Antiarrhyth-
mika innerhalb der ersten Stunden
nach Applikation. Nach 24 Stunden
bestanden keine Unterschiede hin-
sichtlich der Konversionsraten mehr
(66% Sinusrhythmus durch Amiodaron
und 71% durch Klasse I, Abb. 4B) [5].
Amiodaron ist daher zur raschen Kar-
dioversion eine Substanz der zweiten
Wahl, allerdings ist es angesichts der
geringen negativen Inotropie auch bei
Patienten mit reduzierter linksventri-
kulärer Funktion einzusetzen [34] und
kann bei Patienten mit symptomati-
scher Hypotonie (z.B. zur initialen Fre-
quenzkontrolle und Unterstützung
einer elektrischen Kardioversion im
Rahmen eines Notfallgeschehens)
ebenso verabreicht werden wie bei
Patienten mit koronarer Herzkrank-
heit[4]. Das Nebenwirkungs-Spektrum
von Amiodaron stellt eine weitere
Limitation für die Anwendung dar.
Kardioversion durch das vorhof-
selektive Antiarrhythmikum
Vernakalant
Vernakalant wirkt überwiegend auf
die Vorhöfe und weist daher keine
Nebenwirkungen durch ventrikuläre
Proarrhythmie auf [14]. Durch Inhibi-
tion atrial exprimierter Ionen-Kanäle
verlängert Vernakalant die atrialen
Refraktärzeiten, sodass es zu einer
raschen und effektiven Konversion
von Vorhofflimmern kommt. Verna-
kalant hat eine kurze Halbwertszeit
(
~
3–5,5 Stunden) und wurde in meh-
reren plazebokontrollierten Studien
an Patienten mit VHF untersucht.
Hierbei fiel eine im Vergleich zu Pla-
zebo deutliche und in allen durchge-
führten Studien konsistente Überle-
genheit der Substanz für eine rasche
(bis zu 90 Minuten nach Therapiebe-
gin) Kardioversion von VHF auf. In der
ACT-I-Studie („Atrial arrhythmia Con-
version Trial“) war eine vom Bestehen
der Arrhythmie abhängige Effizienz
der Kardioversion zu beobachten
(Abb. 5) [30]. So waren bei Patienten
mit VHF das < 48 Stunden bestand,
die besten Ergebnisse zu erzielen. Die
mediane Zeit bis zur Konversion war
mit ̴11 Minuten sehr kurz und ven-
trikuläre Proarrhythmie im Sinne von
„Torsade des Pointes“-Tachykardien
trat nicht auf. Eine Vorbehandlung
mit Betablockern und Klasse-I- oder -
III-Antiarrhythmika ist ebenso mög-
lich wie eine weiterführende orale
Therapie mit anderen Antiarrhythmi-
ka ab 2 Stunden nach Applikation von
Vernakalant. Die Zulassung in
Deutschland erfolgte für die Kardio-
version von VHF, das < 7 Tage besteht
oder postoperativem VHF bis zu
3 Tagen nach Auftreten. Zur Konversi-
on von Vorhofflattern ist die Substanz
nahezu wirkungslos und nicht zuge-
lassen. Vernakalant kann bei Patien-
ten mit struktureller Herzkrankheit,
koronarer Herzerkrankung und stabi-
ler Myokardinsuffizienz (NYHA I&II)
eingesetzt werden. Dies ist ein wichti-
ges Unterscheidungsmerkmal zu Klas-
se-I-Antiarrhythmika.
kurzgefasst
Klasse-I-Antiarrhythmika sind
nur indiziert, wenn keine relevante
strukturelle Herzkrankheit vorliegt.
Das vorhofselektive Antiarrhythmi-
kum Vernakalant kann bei Patienten
mit struktureller Herzkrankheit
(außer hochgradiger Aorteklappenste-
nose oder symptomatischer Herzin-
suffizienz) verabreicht werden. Das
Klasse-III-Antiarrhythmikum ist für
die akute Kardioversion wenig effek-
tiv, kann jedoch bei Patienten verab-
reicht werden, bei denen keine ande-
re medikamentöse Option zur Verfü-
gung steht.
Konsequenz für Klinik und Praxis
▶ Eine Rhythmisierung von VHF soll-
te, wenn sie indiziert ist, rasch
durchgeführt werden.
▶ Neben einem höheren akuten The-
rapieerfolg der Kardioversion bei
erst kurze Zeit bestehendem VHF
sind auch Rezidive nach Kardiover-
sion seltener. Dies ist möglicher-
weise durch eine Unterbrechung
der sonst fortschreitenden Remode-
ling-Vorgänge zu erklären.
▶ Es steht zu erwarten, dass sich
zukünftig durch den Einsatz neuer
medikamentöser und nichtmedika-
mentöser Therapieverfahren insge-
samt die Prognose von Patienten
mit VHF verbessern lassen wird.
Danksagung: Die Autoren danken
cand. med. Moritz Toenne für die
Unterstützung bei der Erstellung der
Grafiken.
Abb. 4
Vergleich der Effektivität von Amiodaron vs. Plazebo (
A
) oder Klasse-I-Antiarrhythmika (
B
) zur akuten Kardioversion von persistie-
rendem VHF. Mittlere Konversionsraten einer Meta-Analyse von 6, respektive 9 randomisierten Studien. Einschränkend wurden in den
zugrundeliegenden Originalarbeiten unterschiedliche Applikationsformen und Dosierungen für Amiodaron verwendet. Mit Genehmigung,
nach Chevalier et al., J Am Coll Cardiol 2003; 41: 255–262 [5].
Abb. 5
Primärer Endpunkt (Kardioversion innerhalb 90 Minuten nach Applikation von Vernakalant vs. Plazebo) der ACT-I-Studie (
A
). Ver-
gleich der Kardioversions-Effektivität in Gruppen von Patienten mit unterschiedlich lange bestehendem VHF (
B
). Hier zeigte sich erneut,
dass mit längerem Bestehen des VHF die Effektivität einer medikamentösen Kardioversion abnimmt. * P<0,05. Mit Genehmigung, nach
Roy et al., Circulation 2008; 117: 1518–1525 [30].
75
100
50
Patienten
kardiovertiert (%)
Zeit nach Antiarrhythmika-Gabe
a
b
25
0
1–2 h 6–8 h
24 h
75
100
50
Zeit nach Antiarrhythmika-Gabe
25
0
1–2 h 6–8 h
24 h
Amiodaron
Plazebo
Amiodaron
Klasse-I
50
40
60
30
SR-Konversion
SR-Konversion
Zeit (min)
a
b
20
10
0
0
20 40 60 80
Vernakalant
*
*
*
*
Plazebo
P < 0,001 (log-rank)
100
55
70
60
40
20
30
10
0
3–48 h 3–7
Tage
8–45
Tage
Gesamt
Vernakalant
Plazebo