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Arterielle Hypertonie führt über eine
Erhöhung des linksventrikulären end-
diastolischen Drucks und einer konse-
kutiven Steigerung des atrialen
Drucks sowie über Angiotensin-II-
bedingte, fibrotische Umbauvorgänge
zu einer vermehrten Vulnerabilität
für VHF [3]. Eine Herzinsuffizienz ist
ebenfalls ein sehr wichtiger Risikofak-
tor für VHF. Die Prävalenz der
Arrhythmie nimmt mit steigender
NYHA-Klasse stark zu. Herzinsuffi-
zienz führt durch vermehrte Fibrose
und eingeschränkte elektrische Leit-
fähigkeit sowie Dehnung der Vorhöfe
zu einem spezifischen Substrat, das
das Aufrechterhalten der Arrhythmie
begünstigt [18]. Auch die koronare
Herzkrankheit führt zu vermehrter
Fibrose, zu regional stark heterogener
Impulsleitung sowie vermehrter
abnormaler Automatie der Vorhöfe
[2, 28]. Neben einer spezifischen The-
rapie der Rhythmusstörung ist daher
eine differenzierte Behandlung der
Grunderkrankung integraler Bestand-
teil der Therapie von VHF [21].
Zeitabhängige Umbauvorgänge der
Vorhöfe durch Vorhofflimmern
Mechanistisch bestehen während VHF
mehrere kreisende elektrische Erre-
gungen in den Vorhöfen, die eine
schnelle und unregelmäßige Aktivie-
rung bedingen. Hierdurch entsteht ein
die Arrhythmie aufrechterhaltendes
elektrische Remodeling, das auf Ebene
der Kardiomyozyten durch verkürzte
Aktionspotentialdauer, konsekutiv
verkürzte Refraktärzeit und gestörte
atriale Erregungsausbreitung charak-
terisiert ist [27]. Wijffels et al. [36]
zeigten diese selbsterhaltende Natur
der Arrhythmie erstmals in einem
klassischen Tierexperiment. Ein spe-
zieller Schrittmacher gab bei Auftre-
ten von Sinusrhythmus eine elektri-
sche Stimulation (50Hz), sodass wie-
der VHF eintrat (Abb. 1A). Wurde
diese Behandlung über Wochen
durchgeführt, kam es in den sonst
strukturell gesunden Vorhöfen zu
persistierendem VHF (Abb. 1B). Eine
klinische Parallele zu dieser experi-
mentellen Beobachtung besteht bei
Patienten mit VHF, das in vielen Fäl-
len im Laufe von Jahren von der
paroxysmalen in die permanente
Form übergeht [23].
Durch die hochfrequente Aktivität der
Vorhöfe kommt es zu verminderter
Kontraktilität mit Stase in den Herz-
vorhöfen, was im transösophagealen
Echokardiogramm häufig als Spon-
tankontrast zu erkennen ist. Nachfol-
gend ist das Risiko für die atriale
Thromben insbesondere im linken
Vorhofohr erhöht [33]. Die reduzierte
Kontraktilität der Vorhöfe wurde
bereits vor etwa einem halben Jahr-
hundert im Zusammenhang mit der
Kardioversion von VHF beschrieben
(Abb. 2A, B) [26]. Die kausale Rolle
intrazellulärer Kalziumüberladung
und hierbei involvierter Proteine wird
erst seit einigen Jahren zunehmend
beachtet [12]. Erste Ansätze mittels
gezielter Therapie des intrazellulären
Kalziumhaushaltes elektrisches
Remodeling und reduzierte Kontrakti-
lität positiv zu beeinflussen, sind viel-
versprechend, jedoch weitestgehend
experimentell, und ein klinischer Ein-
satz ist in naher Zukunft nicht zu
erwarten [13]. Bei länger bestehen-
dem VHF kommt es auch zunehmend
zu Fibrose der Vorhöfe, die die elektri-
schen Leitungseigenschaften weiter
einschränkt und die Arrhythmie
zusätzlich aufrechterhält [3].
kurzgefasst
Umbauvorgänge, die durch Vor-
hofflimmern entstehen (Remodeling),
erleichtern den Aufrechterhalt der
Arrhythmie und erschweren eine Kar-
dioversion bei längerem Bestehen.
Auch eine vermehrte inflammatori-
sche Aktivität (gemessen anhand sys-
temischer Entzündungsmarker wie
dem C-reaktiven Protein) kann im
Rahmen von VHF beobachtet werden
und ist mit endothelialer Schädigung
der Vorhöfe assoziiert, was die lokale
Bildung von Gerinnseln weiter ver-
stärkt. Patienten mit VHF weisen in
Abhängigkeit von Bestehensdauer und
Form der Rhythmusstörung (paroxys-
mal oder persistierend) gegenüber
Patienten mit Sinusrhythmus unter
anderem erhöhte CRP-Werte (als
Marker der systemischen Inflamma-
tion) auf [6]. Diese Werte sind insbe-
sondere bei Patienten, die Thromben
im Vorhofohr aufweisen, stark erhöht
[22]. Eine anti-inflammatorische The-
rapie mit Methylprednisolon führte
zwar zur Reduktion von VHF-Rezidi-
ven, ist jedoch angesichts des Neben-
wirkungsprofils im klinischen Alltag
nicht zu vertreten [10].
Es handelt sich bei allen Formen des
VHF-assoziierten Remodelings um
zeitabhängig voranschreitende Pro-
zesse, sodass – wenn Rhythmuskon-
trolle indiziert ist – eine rasche The-
rapieeinleitung erfolgen sollte, auch
um einen weiteren Progress der Ver-
änderungen zu verhindern.
Indikation zu Rhythmus- oder Fre-
quenzkontrolle bei Vorhofflimmern
Wiederherstellung und Erhalt des
Sinusrhythmus waren viele Jahre
Hauptziel der Therapie von Patienten
mit VHF. Hierbei spielte die Vorstel-
lung eine Rolle, dass – neben einer
intuitiven Bevorzugung des Sinus-
rhythmus – sich möglicherweise das
Risiko für thromboembolische Ereig-
nisse reduzieren ließe, die Notwen-
digkeit einer Antikoagulation entfiele
oder die erhöhte Mortalität reduziert
wäre [17]. Trotz dieser Argumente für
einen Erhalt des Sinusrhythmus konn-
te bisher kein Überlebensvorteil für
eine primäre Rhythmus-Kontroll-
Strategie gezeigt werden [9]. Die
AFFIRM-Studie („Atrial Fibrillation
Follow-up Investigation of Rhythm
Management“) war hierbei die größte
prospektive, randomisierte Studie mit
über 4000 Patienten, die an VHF
erkrankt waren. Die Gesamtmortalität
lag bei 23,8% nach 5 Jahren für
Patienten, die mit Rhythmuskontrolle
behandelt wurden und bei 21,3% für
solche, die Frequenzkontrolle erhiel-
ten [35]. Die Ergebnisse einer weite-
ren Studie ergaben konsistent keinen
Überlebensvorteil in einem Kollektiv
von Herzinsuffizienzpatienten mit
VHF, die entsprechend zu Rhythmus-
oder Frequenzkontrolle randomisiert
wurden [32]. In Post-hoc-Analysen
der AFFIRM-Daten zeigte sich, dass
zwar das Erreichen eines Sinusrhyth-
mus ein mit verbessertem Überleben
vereinbarer Parameter war, jedoch –
neben anderen Faktoren wie bei-
spielsweise Beendigung der Antiko-
agulation – möglicherweise der Ein-
satz der während der Studiendurch-
führung eingesetzten Antiarrhythmi-
ka diesen Nutzen aufhob [8]. Die Indi-
kation zur Rhythmuskontrolle ist
daher bei VHF-Patienten zu stellen,
bei denen sich nach initialer Fre-
quenzkontrolle die Symptome nicht
ausreichend gebessert haben [4].
Möglicherweise ist zukünftig der Ein-
satz anderer Antiarrhythmika oder
anderer Strategien zur Rhythmuskon-
trolle (wie z.B. Pulmonalvenenablati-
on) mit einem Überlebensvorteil zu
assoziieren. Dies müssen prospektive
klinische Studien zeigen.
Eine effektive Antikoagulation ist
immer ein zentrales Therapieziel bei
Patienten mit VHF und sollte auch
nach einer Kardioversion – je nach
Risikoprofil – ggf. lebenslang fortge-
setzt werden. Eine elektive Kardiover-
sion sollte nur bei Patienten durchge-
führt werden, die zuvor entweder
ausreichend antikoaguliert wurden
(3 Wochen orale Antikoagulation mit
INR 2–3), bei denen VHF weniger als
48 Stunden besteht, oder bei denen
ein Vorhof-Thrombus mittels trans-
ösophagealem Echokardiogramm aus-
geschlossen wurde [4].
kurzgefasst
Primärer Therapieansatz bei
Vorhofflimmern ist neben effektiver
Antikoagulation zunächst die Fre-
quenzkontrolle.
Kardioversionserfolg in Abhängigkeit
von der Bestehensdauer des VHF
Ist eine Strategie der Rhythmuskon-
trolle bei unzureichendem Anspre-
chen auf Frequenzkontrolle indiziert,
stehen die medikamentöse und elek-
trische Option der Kardioversion zur
Verfügung. Während die elektrische
Kardioversion mit über 90%iger
Erfolgsrate effektiver ist als die medi-
kamentöse Variante, ist für letztere
weder Sedierung noch Anästhesie
Medizin
Nr. 2 • Februar 2012
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Remodeling durch Vorhofflimmern
und klinische Implikationen für die
Kardioversion
Herzrhythmusstörungen
Vorhofflimmern (VHF) ist eine sehr häufige Rhythmusstörung und tritt meist in vorgeschädigten Herzen
auf. Die zugrundeliegenden Krankheiten verursachen oft spezifische Umbauvorgänge der Herzvorhöfe,
die das Auftreten der Rhythmusstörung begünstigen [33]. Diese Umbauvorgänge werden als „Remode-
ling“ bezeichnet. Es kommt zeitabhängig zu einer Reihe verschiedener Formen von Remodeling, z.B.
Veränderungen der elektrophysiologischen Eigenschaften (elektrisches Remodeling), der Struktur der
Vorhöfe, der Kontraktilität oder zu Veränderungen am Endothel der Vorhöfe. Darüber hinaus führt
auch VHF selbst zu spezifischem Remodeling der Vorhöfe.
Abb. 1
Tierexperimenteller Einsatz eines Vorhofschrittmachers, der durch 50Hz-Stimulation Vorhofflimmern (VHF) induziert, sobald es zur
spontanen Sinuskonversion der vorherigen Episode kam (
A
). Durch die Behandlung gesunder Ziegenherzen mit diesen Schrittmachern
konnte eine zunehmende Dauer der entstehenden VHF-Episoden dokumentiert werden; nach 2 Wochen bestand bei einem Großteil der
Tiere persistierendes VHF (
B
). Mit Genehmigung nach Wijffels et al., Circulation 1995; 92: 1954–1968 [36].
Abb. 2
EKGs (oben) und Registrierungen des Vorhofdrucks (unten) bei einem Patienten mit Sinusrhythmus (
A
), der kein VHF in der Vorge-
schichte aufwies, und einem Patienten mit Sinusrhythmus nach Kardioversion von VHF (
B
). Auffällig ist der Verlust der A-Welle nach Kar-
dioversion, was durch die herabgesetzte Vorhofkontraktilität zu erklären ist. Mit Genehmigung nach Logan et al., Lancet 1965; 2: 471–
473 [26].
C
Vergrößerter Ausschnitt eines transösophagealen Echokardiogramms mit einem Thrombus im linken Vorhofohr, wie er typi-
scherweise bei VHF auftreten kann (Vorhofohr weiß umrandet).
Abb. 3
Zeitabhängigkeit des Auftretens von Umbauvorgängen durch VHF (so genanntes
„Remodeling“) mit Implikation für die Erfolgswahrscheinlichkeit (schwarze Linie) einer
medikamentösen Kardioversion.
LA
a
b
AF
AF
AF
AF
SR
Control
AF
AF
Sustained AF
5 sec
Duration of
Fibrillation
20 sec
> 24 hours
after
24 hours
burst
pacing
Sinus Rhythm
after
2 weeks
1 sec
2 sec
SR
SR
SR
50 Hz
50 Hz
50 Hz
ECG
75%
100%
50%
Wahrscheinlichkeit für Konversion
25%
0%
1 Std. 48 Std.
1 Woche
1 Monat
elektrisches
kontraktiles
endotheliales
strukturelles
1 Jahr
Remodeling