Berufspolitik
Nr. 2 • Februar 2012
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Eine Medizingerätefirma hatte Ärzten
die Kosten für hochwertige Tensgeräte
(Reizstromgeräte) erlassen, die in den
Praxen der Ärzte zum Einsatz kamen.
Im Gegenzug wurden von den Ärzten
den Patienten zur eigenen Anwen-
dung Therapiegeräte verordnet, die
von derselben Firma kamen.
Nach der Auffassung der Bundesan-
waltschaft erfüllt dies den Tatbestand
der Bestechung im geschäftlichen
Verkehr, obwohl es keinerlei Anhalts-
punkte dafür gab, dass die Verord-
nungen aus medizinischer Sicht
unnötig waren. Das ist jedoch keine
Voraussetzung für die Annahme der
Strafbarkeit wegen Bestechung.
Auch der 5. Strafsenat hat dem Gro-
ßen Senat für Strafsachen die Frage
vorgelegt, ob ein Vertragsarzt Amts-
träger ist, hilfsweise verbunden mit
der Frage, ob Vertragsärzte Beauftrag-
te eines geschäftlichen Betriebes sind.
Urteil zur Bestechlichkeit
Hintergrund dieser Vorlagefragen ist
das Urteil des Landgerichts Hamburg,
welches einen Vertragsarzt wegen
Bestechlichkeit im geschäftlichen Ver-
kehr und eine Pharmareferentin
wegen Bestechung im geschäftlichen
Verkehr jeweils zu Geldstrafen verur-
teilt hat. Gegen das Urteil hatte nur
die Pharmareferentin Revision einge-
legt. Nach den Feststellungen des
Landgerichts betrieb das Unterneh-
men, bei welchem die Angeklagte als
Referentin tätig war, spätestens seit
dem Jahr 1997 ein „Verordnungsma-
nagement“. Auf dessen Basis wurden
Vereinbarungen mit niedergelassenen
Ärzten geschlossen, die eine Prämie
von 5 % des Herstellerabgabepreises
für sämtliche in einem Quartal ver-
ordneten Arzneimittel aus dem Ver-
trieb dieses Unternehmens erhielten.
Die angeklagte Pharmareferentin
übergab in Ausführung dieser Verein-
barung dem mitangeklagten Arzt
mehrfach Schecks in Höhe von insge-
samt über 10.000 €, weiterhin hän-
digte sie ihm Schecks – zum Schein
als Honorare für tatsächlich nicht
gehaltene Vorträge deklariert – als
Prämie aus.
Das Landgericht hat in seinem Urteil
die Auffassung vertreten, dass ein
Vertragsarzt nicht die Anforderungen
an eine Amtsträgerstellung nach § 11
Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe c StGB erfülle
(weshalb auch die Amtsdelikte der
Vorteilsannahme bzw. -gewährung,
Bestechlichkeit bzw. Bestechung,
§§ 331 ff. StGB ausschieden). Er sei
jedoch – im Hinblick auf die gesetzli-
chen Krankenkassen – als Beauftrag-
ter eines geschäftlichen Betriebs im
geschäftlichen Verkehr im Sinne des
§ 299 StGB anzusehen.
Rechtsauffassung des 3. Straf-
senats zur Amtsträgereigenschaft
Mittlerweile liegt die vollständige
schriftliche Begründung des Vorlage-
beschlusses vor, sodass die Rechtsauf-
fassung des vorlegenden 3. Strafsenats
näher dargestellt werden kann.
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichts-
hofes ist der Auffassung, dass der Ver-
tragsarzt bei der Verordnung von
Hilfsmitteln als Amtsträger im Sinne
des Strafgesetzbuches handelt, sodass
die Zuwendung im Zusammenhang
mit dieser Tätigkeit gewährter Vortei-
le den Tatbestand der Vorteilsgewäh-
rung (§ 333 StGB) oder den der Beste-
chung (§ 334 StGB) erfüllen kann.
Der Strafsenat vertritt die Meinung,
dass ein Vertragsarzt dazu bestellt ist,
im Auftrag einer sonstigen Stelle Auf-
gaben der öffentlichen Verwaltung
wahrzunehmen. Weiterhin geht er
davon aus, dass es sich bei den
gesetzlichen Krankenkassen um
sogenannte sonstige Stellen gemäß
§ 11 Abs. 1 Nr. 2 c StGB handelt.
Darunter ist eine behördenähnliche
Institution zu verstehen, die selbst
zwar keine Behörde im verwaltungs-
rechtlichen Sinn, aber rechtlich befugt
ist, bei der Ausführung von Gesetzen
und bei der Erfüllung von öffentlichen
Aufgaben mitzuwirken. Zu den öffent-
lichen Aufgaben gehören auch dieje-
nigen der staatlichen Daseinsvorsor-
ge. Da den gesetzlichen Krankenversi-
cherungen die Aufgabe zukommt, die
Gesundheit der Versicherten zu erhal-
ten, wiederherzustellen und ihren
Gesundheitszustand zu verbessern,
nehmen die gesetzlichen Krankenkas-
sen eine wesentliche Aufgabe im Rah-
men der Gesundheitsfürsorge wahr.
Die notwendige Bestellung der Ver-
tragsärzte zur Wahrnehmung von
Aufgaben der öffentlichen Verwal-
tung, die für die Begründung einer
Amtsträgereigenschaft erforderlich
ist, wird von dem Strafsenat ebenfalls
bejaht. Das Gericht ist der Auffassung,
dass hierfür kein förmlicher Akt
Voraussetzung ist. Die Zulassung der
Ärzte zur Teilnahme an der vertrags-
ärztlichen Versorgung gemäß § 95
SGB V erfülle die Voraussetzungen
einer Bestellung im Sinne des Strafge-
setzbuches. Da die Zulassung in der
Form eines Verwaltungsaktes ergehe
und damit eine hoheitliche Maßnah-
me darstelle, werde auch ohne Weite-
res nach außen – und damit auch für
den Vertragsarzt – deutlich, dass mit
der vertragsärztlichen Zulassung
besondere Kompetenzen und Verhal-
tenspflichten verbunden sind. Anders
ausgedrückt: Der Vertragsarzt muss
aufgrund der erfolgten Zulassung
erkennen, dass er mit der Zulassung
Amtsträger im Sinne des Strafgesetz-
buches wird. Im Rahmen der erfolg-
ten Zulassung weist das sozialrechtli-
che Regelungsgefüge, wonach der Ver-
tragsarzt den Anspruch des Versicher-
ten auf Versorgung konkretisiert, die-
sem eine Schlüsselstellung zu. Die
durch das Bundessozialgericht kürz-
lich vorgenommene dogmatische
Neubestimmung der Rechtsgrundlage
für die Verpflichtung der Krankenkas-
sen, nach der ein Vertragsabschluss
nicht mehr für erforderlich gehalten
wird, hat danach an der zentralen
Funktion des Vertragsarztes im
Bereich der Versorgung der Versicher-
ten der gesetzlichen Krankenversiche-
rung mit Arznei- und Hilfsmitteln
nichts verändert.
Auch der Umstand, dass der Vertrags-
arzt seine Tätigkeit freiberuflich und
bezüglich der Behandlungs- und Ver-
ordnungstätigkeit weisungsunabhän-
gig ausübt, steht nach Auffassung des
Gerichts der Amtsträgereigenschaft
nicht entgegen. Maßgeblich ist inso-
weit, dass die Vertragsärzte durch
ihre Zulassung in relevanter Weise in
die öffentlich-rechtlichen Strukturen
der kassenärztlichen Versorgung der
Versicherten eingebunden werden.
Auf dieser Rechtsansicht basierend
kommt das Gericht zu der Auffassung,
dass die Vertragsärzte in dem zu ent-
scheidenden Fall ihre Dienstpflichten
dadurch verletzt haben, dass sie,
nachdem sie Verordnungen über
TENS-Geräte ausgestellt hatten, diese
einer bestimmten Firma zukommen
ließen und hierfür für jede Verord-
nung einen Betrag in Höhe von
10,00 € gutgeschrieben erhielten.
Da das Sammeln der Verordnungen
und Weiterleiten an die Firma gerade
durch die amtliche Stellung des Ver-
tragsarztes ermöglicht wurde, stellte
diese Handlungsweise auch keine
außerhalb des Aufgabenbereichs des
Amtsträgers liegende Privathandlung
dar. Ebenso selbstverständlich ging
das Gericht davon aus, dass eine
Unrechtsvereinbarung vorlag. Diese
sieht das Gericht darin, dass den Ver-
tragsärzten die Vorteile vereinba-
rungsgemäß gerade als Gegenleistung
für die beschriebene Dienstausübung
gewährt wurden.
Sollte der Große Senat für Strafsachen
diese Auffassung teilen, wird sich ein
geändertes Verständnis der Stellung
des Vertragsarztes im Verhältnis zu
den Krankenkassen ergeben.
Beauftragter im geschäftlichen
Verkehr
Für den Fall, dass der Große Senat für
Strafsachen entgegen der Ansicht des
3. Senats die Amtsträgereigenschaft
des niedergelassenen Vertragsarztes
bei der Verordnung von Hilfsmitteln
verneinen sollte, steht nach Auffas-
sung des vorlegenden Senats zumin-
dest fest, dass Bestechung im
geschäftlichen Verkehr begangen
wurde und der Vertragsarzt in jedem
Fall Beauftragter der gesetzlichen
Krankenkassen im Sinne des § 299
StGB ist. Bereits die Schlüsselstellung
des Vertragsarztes ließe den Schluss
zu, dass der Vertragsarzt Beauftragter
der Krankenkasse ist. Auch in den Fäl-
len, in denen bei einer Hilfsmittelver-
ordnung die Letztentscheidungszu-
ständigkeit aufgrund vertraglicher
Regelungen bei der gesetzlichen Kran-
kenkasse liegt, handelt der Vertrags-
arzt als Beauftragter, da es ausrei-
chend ist, wenn er auf die Entschei-
dung über den Warenaustausch Ein-
fluss nehmen kann.
Da nach Auffassung des Gerichts
§ 299 StGB – zumindest vorrangig –
den freien Wettbewerb schützt, ist
dieses Rechtsgut stets in Gefahr, wenn
Personen die Befugnis haben, den
Bezug von Waren oder gewerblichen
Leistungen im geschäftlichen Verkehr
zu beeinflussen, dessen wirtschaftli-
che Folgen nicht sie selbst sondern
andere treffen.
Wie die Entscheidung des Großen
Strafsenats zur Frage der Amtsträger-
schaft ausfallen wird, erscheint völlig
offen. Erkennbar scheint allerdings,
dass die hilfsweise vorgelegte Rechts-
frage, ob der Vertragsarzt Beauftrag-
ter im Sinne des § 299 StGB ist, bejaht
werden wird. So oder so werden die
Konsequenzen für Vertragsärzte und
das sogenannte Pharmamarketing
gravierend sein, nicht zuletzt deshalb,
weil im Rahmen der Bestechlichkeits-
delikte bereits das sogenannte Anfüt-
tern unter Strafe gestellt ist.
Praxishinweis
Die Vorlage an den Großen Senat
zeigt, wie umstritten die rechtlichen
Fragen im Zusammenhang mit dem
Pharmamarketing sind. Es kann den
Vertragsärzten bis zur Entscheidung
des Großen Senats nur dringend emp-
fohlen werden, keine Vorteile im
Gegenzug für Verordnungen anzuneh-
men.
Christina Zastrow
Ist der Vertragsarzt Amtsträger im
Sinne von §§ 331 ff StGB?
Gerichtsurteil
Mit Spannung wird die Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) zur möglichen Strafbarkeit bei Beste-
chung von Kassenärzten erwartet. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hatte darüber zu entscheiden,
ob Zuwendungen oder Vergünstigungen für Kassenärzte als Bestechung strafbar sind. Der 3. Strafsenat
hat diese Frage dem Großen Senat für Strafsachen vorgelegt, der nach § 132 Abs. 4 GVG für die Beantwor-
tung grundsätzlicher Rechtsfragen u. a. dann zuständig ist, wenn dies zur Fortbildung des Rechts erfor-
derlich ist. Das zugrunde liegende Revisionsverfahren betrifft die Strafbarkeit von Beteiligten am soge-
nannten Pharmamarketing.
zentsätze für Arbeitnehmer und
Arbeitgeber.
Die SPD will PKV-Unternehmen befä-
higen, ebenfalls eine Bürgerversiche-
rung anzubieten. Für Versicherte einer
solchen Bürgerversicherung in der PKV
gelten die gleichen Tarife, die Einbezie-
hung in den Gesundheitsfonds mit ent-
sprechender Zuweisung an die Versi-
cherung sowie risiko- und altersunab-
hängiger Kontrahierungszwang. Im
Gegenzug erhält die PKV für ihre bür-
gerversicherten Mitglieder alle Kosten-
vorteile des Bürgerversicherungssys-
tems.
Rascher Gesetzesentwurf erwartet
Die Grundzüge der SPD-Vorstellungen
zur Bürgerversicherung haben einen
gewissen Ewigkeitswert. Wie bekannt,
wird eine Pflichtversicherung für alle
Bürger angestrebt. Darüber hinaus
wird die Abschaffung der PKV ange-
dacht und eine einheitliche ärztliche
Honorarordnung versprochen. Die SPD
wird voraussichtlich versuchen, ihre
Vorstellungen einer Bürgerversiche-
rung zügig in einen Gesetzesentwurf
zu fassen, um bei einer möglichen
Regierungsbeteiligung nach den Bun-
destagswahlen 2013 den Vorteil der
Bundesratskonstellation zu nutzen. Im
Hinblick auf die Hofierung des Deut-
schen Hausärzteverbandes darf man
gespannt sein, wie die SPD in einem
Gesetzesentwurf alle juristischen Fall-
stricke beseitigen will, um einem ein-
getragenen Verein ohne jegliche Legiti-
mation umfassende Beteiligungsrechte
in der Selbstverwaltung zuzusprechen.
Hiermit setzt die SPD im Bereich ärzt-
licher Körperschaften des öffentlichen
Rechts das Grundrecht der Koalitions-
freiheit durch den De-facto-Ausschluss
konkurrierender Hausarzt-Verbände
praktisch außer Kraft. Darüber hinaus
darf man gespannt sein, ob zur Finan-
zierung des Steuerzuschusses der
Zuschlag auf die Abgeltungssteuer auf
Zinsen und Dividenden bei den Bürge-
rinnen und Bürgern nicht zu einer
Flucht in Immobilienwerte führen
wird, die bisher noch nicht für die
Finanzierung der Bürgerversicherung
herangezogen werden sollen. Da wir
aus dem aktuellen Gesetzgebungsver-
fahren lernen konnten, dass nicht alle
primären Vorschläge tatsächlich Ein-
gang in einen Gesetzestext finden, kön-
nen wir somit getreu dem Motto „alles
bleibt anders“ gespannt erwarten, was
von den Grundzügen der Bürgerver-
sicherung tatsächlich übrig bleibt.
Wohlgemerkt, dies vermutlich nur,
sofern sich die Farben der Regierungs-
koalition anlässlich der Bundestags-
wahlen 2013 neu mischen sollten.
Dipl.-Betrw. Tilo Radau
Geschäftsführer
Berufsverband Deutscher Internisten
Nachtrag: Die umfangreichen Regelun-
gen zur Pflege, die auf den Seiten 9–12
des Beschlusses dargelegt werden,
wurden in dieser Zusammenfassung
nicht berücksichtigt.
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