Recht auf Beratung und
Unterstützung
Die Länder fordern das Recht auf
Beratung und Unterstützung durch
unabhängige oder neutrale Institutio-
nen und haben sich dabei verkniffen,
diese auch zu definieren. Welche
Institutionen sind in der gesetzlichen
Krankenversicherung schon neutral
und unabhängig? In dem Papier wer-
den auch die angeblich unzumutba-
ren Wartezeiten auf Behandlungster-
mine, insbesondere bei den Fachärz-
tinnen und Fachärzten, erwähnt. Man
hofft hier auf ein besseres Versor-
gungsmanagement in der Selbstver-
waltung, die man an den Sicherstel-
lungsauftrag erinnert. Eine Lösung
sieht man hier im Primärarztmodell,
in dem der Hausarzt als Lotse auftritt.
Man fragt sich, wie eine solche Vorga-
be die Wartezeiten bei den Fachärz-
ten verkürzen soll, liegt das Problem
doch in einer leistungsfeindlichen
Vergütung, die dazu führt, dass Mehr-
leistungen mit mehr Kosten bestraft
werden. Auf diesen Punkt geht das
Papier nicht ein.
Man fordert einen eigenständigen auf,
den Bestimmungen des bürgerlichen
Gesetzbuches beruhenden Vertrag
zwischen Patienten und Behandler
und übersieht auch in diesem Punkt
die besonderen Vertragsverhältnisse
des gesetzlich Krankenversicherten
im Sicherstellungsauftrag der Kassen-
ärztlichen Vereinigung geflissentlich.
Bei der Diskussion über Aufklärung
und eventuellen Schadensfälle wird
ein tiefes Misstrauen der A-Länder
gegenüber den Ärztinnen und Ärzten
sichtbar. Zitat: „Im Schadensfall, so
wird berichtet, gibt es häufig Beweis-
probleme zur Art und Weise der Auf-
klärung. Weiter wird teilweise von
dem Verdacht berichtet, die Doku-
mentation der Aufklärung sei im
Nachhinein verändert worden.“ Dabei
wird besonders beklagt, dass in Kran-
kenhäusern junge Assistenzärztinnen
und Assistenzärzte ohne Erfahrung
die Patienten aufklären, und man ver-
mutet, dass diese Ärzte die Fragen der
Patientinnen und Patienten nicht adä-
quat beantworten können. Hier ist die
Frage erlaubt, zu was das ärztliche
Staatsexamen noch berechtigt.
Härtefallfonds bei Streitfällen
Auch die IGEL-Leistungen werden in
dem Papier angesprochen. Zusatzleis-
tungen dürften den Patientinnen und
Patienten nicht aufgedrängt werden.
Dabei fordert man vom Arzt, dass er
den Patienten über die Umstände
informiert, warum eine Leistung
nicht vom Leistungskatalog der
gesetzlichen Krankenversicherung
erfasst ist. Insbesondere die Nutzen-
bewertung soll erläutert werden. Man
wird in Zukunft den behandelnden
Ärzten empfehlen müssen, sich die
Beschlussvorlagen des Gemeinsamen
Bundesausschusses bis ins Detail
durchzulesen, damit man die
Beschlüsse, die häufig nur unter dem
Aspekt der Kostendämpfung getroffen
werden, den Patienten plausibel
machen kann. In der Begründung zu
dieser Vorgabe wird man noch deutli-
cher, indem man die Verhältnisse bei
der Versorgung mit Leistungen außer-
halb der GKV mit der Rechtsprechung
zu Mietwucher bei Wohnraum ver-
gleicht. Dieser Passus des Papiers
strotzt vor Misstrauen gegenüber den
sogenannten Leistungserbringern.
In dieser Diskussion darf natürlich die
Patientenquittung nicht fehlen. Sie
müssen weiterentwickelt werden.
Man geht aber auch in diesem
Abschnitt nicht darauf ein, dass auf-
grund der Abrechnungsverhältnisse in
der gesetzlichen Krankenversicherung
eine zeitnahe Patientenquittung
grundsätzlich nicht möglich ist.
Um bei den zu erwartenden Scha-
densersatzansprüchen die Forderun-
gen abzusichern, soll ein Härtefall-
fonds gegründet werden, der bei fol-
genden Streitfällen in Anspruch
genommen werden kann:
▶ Es gibt keinen sicheren Nachweis
der Schadensursache und des Ver-
schuldens.
▶ Eine seltene und bislang unbekann-
te Komplikation tritt auf, die die
betroffene Person erheblich schä-
digt.
▶ Die Durchsetzung des Schadenser-
satzanspruches dauert unzumutbar
lange.
▶ Eine finanzielle Hilfe aus sozialen
oder anderen Gründen erscheint
geboten.
Wer soll das bezahlen? Man denkt an
ein Mischmodell aus Steuermitteln,
durch die Haftpflichtversicherer der
Leistungserbringer und an eine Abga-
be aus den Zuzahlungen der gesetzli-
chen Krankenversicherten, z. B. zum
Krankenhausaufenthalt. Je nach
Erfahrung mit dem Härtefallfonds
sollten die Vorgaben auch auf ambu-
lante Leistungen wie z. B. Operatio-
nen oder sogenannte ambulante ris-
kante Eingriffe ausgedehnt werden.
Damit ist nur ein Teil des Inhaltes der
Vorlage der A-Länder angesprochen.
Eine eindeutige Marschrichtung wird
aber erkennbar: Es besteht tiefes
Misstrauen gegenüber Ärzten und
Krankenhäusern bei der Behandlung
der Patienten. Die vorgegebenen
Maßnahme werden noch mehr
Rechtsanwälte notwendig machen als
seither. Last but not least: Die A-Län-
der machen sich offensichtlich keine
Sorgen um das Vertrauensverhältnis
zwischen Arzt und Patient, das für die
Behandlung kranker Patienten von
besonderer Bedeutung ist.
HFS
Berufspolitik
Nr. 2 • Februar 2012
4
Patientenrechtegesetz
(Fortsetzung von Seite 1)
Tiefes Misstrauen
gegenüber den Ärzten
Von statistischer Transparenz,
Median und Arithmetik
Honorar-Labyrinth
Mit immer größerer Irritation
verfolgen wir Ärzte bei ver-
knappten finanziellen Ressour-
cen die Regelungshektik bei der
Honorarverteilung. Der Vertreter
der Kassenärztlichen Bundesver-
einigung wurde öffentlich beim
Deutschen Internistentag in Ber-
lin dafür beglückwünscht, dass
er zu den wenigen Experten
gehört, die das bürokratische
Gestrüpp noch einigermaßen
überblicken können.
Im Rahmen der Diskussion wurde
auch von ihm nicht bestritten, dass
der Fallwert einer Arztgruppe der ein-
zige Parameter im Honorargefüge ist,
der einen statistischen Rückblick und
einen Vergleich gewährleisten kann.
Es ist also nahe liegend, diese statisti-
sche Größe aufzugreifen, um ein Min-
destmaß an Transparenz in der Hono-
rarverteilung zu erhalten. Dazu muss
man vergegenwärtigen, welche statis-
tischen Instrumente dafür zur Verfü-
gung stehen:
Umsatz und Einkommen:
Bisweilen
auch politisch gewollt wird häufig
unzulässig der Umsatz eines Arztes
mit dessen Einkommen vor Steuern
verwechselt. Für das Erfüllen seiner
medizinischen Versorgungsrolle
braucht der Arzt betriebswirtschaft-
lich ein angemessenes Umsatzhonorar
für die erbrachten Leistungen. Die von
den Entscheidungsträgern aber zur
Verfügung gestellten finanziellen Mit-
tel reichen bei stetig steigenden Kos-
ten nicht annähernd mehr aus, um
eine nach dem neuesten Stand der
Medizin geforderte Regelversorgung
zu sichern.
Arithmetischer Mittelwert:
Fast aus-
schließlich werden seit Jahrzehnten
die Honorarverteilungen auf den ver-
schiedensten Ebenen mit arithmeti-
schen Werten ausgewiesen. Im Detail
bedeutet das, dass, bezogen auf die
erbrachten medizinischen Leistungen
und/oder die Zahl der Empfänger, das
zur Verfügung stehende Gesamtvolu-
men mit einem pauschalen Mittel-
wert betrachtet wird. Dieser Durch-
schnittswert verschleiert aber völlig,
dass hier häufig eine große Heteroge-
nität in der Gruppierung besteht und
unberücksichtigt bleibt.
Berechnungs-Formel: Finanzvolumen
dividiert durch die Zahl der Leistun-
gen bzw. der Leistungserbringer.
Median- oder Zentralwert:
Hier wird
primär die Gruppe der medizinischen
Leistungen bzw. der Ärzte betrachtet.
Bei der in aller Regel heterogenen
Honorarverteilung wird der mittlere
Wert herausgegriffen.
Berechnungsformel: In der Gruppie-
rung Herausgreifen des mittleren
Wertes, also bei einer Zahl von 11
der Wert 6.
Statistisches Aufgreifkriterium:
Wie
im Bereich der Kassenärztlichen Ver-
einigung Niedersachsen schon prakti-
ziert, werden quartalsweise neben
Verteilungskurven innerhalb einer
ärztlichen Fachgruppe der arithmeti-
sche Fallwert und neuerdings zusätz-
lich der Median- bzw. der Zentralwert
ausgewiesen. Nach dem bisher Erläu-
terten bedeutet das, dass diese beiden
Werte identisch sein müssen, wenn
die Honorarverteilung in der Gruppie-
rung völlig homogen ist. Sie müssen
aber weit auseinanderweichen, wenn
in dieser Gruppierung eine große
Heterogenität besteht.
Analysenformel:
1. Beide Werte identisch =
Homogenität
2. Beide Werte stark abweichend =
Heterogenität
Wir haben hiermit also ein Instru-
ment, dass mit einem Blick bei der
Betrachtung dieser beiden statisti-
schen Werte die Aussage erlaubt, ob
es sich um eine homogene oder eine
heterogene Honorarverteilung han-
delt, wobei noch nicht die Analyse
erlaubt ist, inwieweit die Homogeni-
tät oder die Heterogenität vom Leis-
tungsgeschehen gerechtfertigt ist. Mit
dem dargestellten statistischen soge-
nannten „Aufgreifkriterium“ besteht
aber sofort die Möglichkeit, bei nicht
plausibel erscheinender Honorarver-
teilung in eine statistische und eine
strukturelle Überprüfung einzustei-
gen.
Zusammenfassend ist also bei den
Honorarbemessungen seit vielen Jah-
ren zu bemängeln,
A. dass zu häufig der Umsatz eines
Arztes mit seinem persönlichen Ein-
kommen vor Steuern verwechselt
wird
B. dass die Regelungshektik von
Honorarverteilungen enorme Büro-
kratie mit sich bringt, die jeweilige
Auswirkung nicht abgewartet wird
und dass sie rückblickende Vergleiche
für Entwicklungstendenzen nicht
zulässt
C. und dass weder heute noch im
Besonderen für unsere nachfolgenden
Ärzte einigermaßen verlässlich
Berufs-, Lebens- und damit Zukunfts-
planungen ermöglicht werden.
Zu fordern ist generell, dass unser von
vielen Schwächen begleitetes Gesund-
heitssystem einer mehr am medizini-
schen Versorgungsbedarf der Bevölke-
rung orientierten Reform unterzogen
wird und die Rahmenbedingungen
einschließlich der hier analysierten
Finanzierungen dem angemessen
angepasst werden. Der allseits
beschworene, aber nie wirklich voll-
zogene Bürokratieabbau ist dabei
unverzichtbar, um die Qualifikation
der Ärzte auch vollständig ihrer urei-
gensten Aufgabe, nämlich der medizi-
nischen Versorgung ihrer Patienten,
vorzubehalten.
Dr. Wolf-Dieter Kirsten
Vorsitzender der Kommission
Internistische Versorgungsplanung
Zweiklassenmedizin
Zitate aus dem Bundestag
Bei der 146. Sitzung des Deutschen
Bundestags am 01.12.2011 stand die
Beschlussfassung zum Gesundheits-
strukturgesetz im Mittelpunkt. Dr.
Karl Lauterbach begann seinen Vor-
trag mit folgenden Worten: „Herr Prä-
sident! Meine sehr verehrten Kollegin-
nen und Kollegen! Herr Brüderle, ich
saß vor einigen Jahren mit einem Ihrer
Vorgänger in der Businessclass...“
(Zurufe von der FDP: „Oh!“ – Volker
Kauder, CDU/CSU: „Sie hätten in der
Economyclass sitzen sollen!“)
An anderer Stelle äußert sich zum
gleichen Thema Jens Spahn von der
CDU/CSU: „Herr Präsident! Liebe Kol-
leginnen und Kollegen! Herr Kollege
Lauterbach, erste Klasse fliegen, aber
Apologet der Zweiklassenmedizin sein
– das ist eine gewisse Kunst, die Sie
uns hier präsentiert haben...“ (Zuruf
Dr. Karl Lauterbach, SPD: „Dummes
Geschwätz!“)
Angriff auf die ärztliche
Schweigepflicht
Ärztekammerpräsident kritisiert Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts
Als völlig unverständlichen Angriff auf
die ärztliche Schweigepflicht, hat der
Präsident der Landesärztekammer
Hessen Dr. med. Gottfried von Knob-
lauch zu Hatzbach den Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts bezeichnet.
Nach dieser höchstrichterlichen Ent-
scheidung dürfen Ermittlungsbehörden
bei schweren Straftaten auch weiterhin
die Telefongespräche zwischen Ärzten
und Patienten abhören. Die Richter
wiesen damit die Verfassungsklage
mehrerer Ärzte, darunter auch des ver-
storbenen Bundesärztekammerpräsi-
denten Prof. Dr. med. Jörg-Dietrich
Hoppe, und anderer Kläger ab und
erlaubten eine 2008 in Kraft getretene
Neuregelung der Telefonüberwachung.
„Das Gesetz untergräbt das unbedingt
schützenswerte Vertrauensverhältnis
zwischen Ärzten und Patienten, indem
es Ärzte zu Berufsgeheimnisträgern
zweiter Klasse degradiert“, kritisierte
von Knoblauch zu Hatzbach scharf.
„Viele Patienten werden ihrer Ärztin
und ihrem Arzt ihre körperlichen oder
seelischen Leiden nicht mehr anver-
trauen wollen, wenn das Arztgeheim-
nis derart eingeschränkt wird.“ Warum
dagegen beispielsweise Anwälte diesen
Einschränkungen weiterhin nicht
unterliegen sollen, sei nicht nachvoll-
ziehbar, so der Ärztekammerpräsident.
nach einer Pressemitteilung der Landes-
ärztekammer Hessen vom 8.12.2011