Die im Weiterbildungsmonitor 2023 erhobenen Befunde deuten auf ein zunehmend bedeutendes Problem angestellter Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung hin. Sie nehmen während ihrer Weiterbildung eine Doppelrolle in den Weiterbildungsstätten ein. Zum einen arbeiten sie in der Rolle als nachgeordnete, nicht leitende Angestellte. Sie schulden in dieser Rolle dem Arbeitgeber die arbeitsvertraglich vereinbarten Leistungen und sind ihm in betrieblichen Belangen weisungsabhängig. Die Rechtsgrundlage ist der Paragraf 611a BGB: „Durch den Arbeitsvertrag wird der Arbeitnehmer im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet.“…….
Auf der anderen Seite arbeiten sie während ihrer Weiterbildung in der Rolle eines professionellen Arztes für den die Bestimmungen der jeweiligen Heilberufe-Kammergesetze der Länder und die sich daraus ableitenden berufsrechtlichen Rahmenbedingungen der jeweiligen Ärztekammern Geltung finden. Diese sind z.B. in der Berufsordnung und der Weiterbildungsordnung festgelegt. In der Weiterbildung sind Ärzte in der Patientenbehandlung nicht weisungsabhängig, außer den weiterbildenden Ärzten gegenüber, und zur Erlangung der beruflichen Qualifikation verpflichtet. Beispielhaft sei hier die Berufs- und Weiterbildungsordnung der Ärztekammer Nordrhein dargestellt:
- Paragraf 1, „(1) Ärztinnen und Ärzte dienen der Gesundheit des einzelnen Menschen und der Bevölkerung. Der ärztliche Beruf ist kein Gewerbe. Er ist seiner Natur nach ein freier Beruf.
- Paragraf 2, „(2) Ärztinnen und Ärzte haben ihren Beruf gewissenhaft aus zu üben und dem ihnen bei ihrer Berufsausübung entgegengebrachten Vertrauen zu entsprechen. Sie haben dabei ihr ärztliches Handeln am Wohl der Patientinnen und Patienten auszurichten. Insbesondere dürfen sie nicht das Interesse Dritter über das Wohl der Patientinnen und Patienten stellen“.
- „(3) Eine gewissenhafte Ausübung des Berufs erfordert insbesondere die notwendige fachliche Qualifikation und die Beachtung des anerkannten Standes der medizinischen Erkenntnisse.“
- „(4) Ärztinnen und Ärzte dürfen hinsichtlich ihrer ärztlichen Entscheidungen keine Weisungen von Nichtärzten entgegennehmen.“
Diese Doppelrolle bringt die Ärzte in Weiterbildung (ÄiW) in eine oft unauflösliche Konfliktsituation. Sie müssen den betrieblichen Anforderungen des Arbeitgebers bezüglich der Rahmenbedingen für die Arbeitsorganisation und der wirtschaftlichen Ziele Folge leisten und sollen im Rahmen ihrer Weiterbildung die Anforderungen der Berufsordnung an das Handeln als professioneller Arzt/Ärztin in der realen Patientenbehandlung genügen.
Die Befunde im Weiterbildungsmonitor deuten darauf hin, dass letztlich bei den ÄiW ein Gefühl entsteht, den erlebten Anforderungen von Betrieb und Patientenversorgung nicht mehr gerecht werden zu können. Dies zeigt sich in einer zunehmenden Schwierigkeit, sich im Privatleben von der ärztlichen Tätigkeit distanzieren zu können, sowie dem abnehmenden Erleben eigener Selbstwirksamkeit. Die Befunde belegen eindrücklich, die massive Dominanz des betrieblichen Rollenanteils. Diese in den letzten Jahren zunehmende Entwicklung ist eine der Hauptursachen der mehr als unbefriedigenden Situation der fachärztlichen Weiterbildung in Deutschland. Die geringe Thematisierung dieses Sachverhalts deutet in gewisser Form auf eine Resignation der ärztlichen Selbstverwaltung diesem Problem gegenüber im Diskurs mit der Politik über bessere Weiterbildungsbedingen hin.
Ein Beitrag von Prof. Marcus Siebolds, Professor für Medizin/Medizinmanagement an der Katholischen Fachhochschule Nordrhein-Westfalen und Vorsitzender des Arbeitskreises Fachärztliche Weiterbildung im BDI, erschienen in der BDI aktuell 07+08/2023