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Wir brauchen wahrnehmbare Mehrwerte

© Brian Rauschert

Die bisherige Geschichte der Digitalisierung im Gesundheitswesen hat leider zu viel mehr Skepsis geführt, als den Glauben an den Fortschritt zu stärken. Lustlos und kompliziert ist die Bewertung durch die meisten Nutzer. Bundesminister Lauterbach will nun durch die Ampel-Koalition die Telematikinfrastruktur (TI) updaten und insbesondere die elektronische Patientenakte (ePA) zur individuellen Gesundheitsplattform der Versicherten weiterentwickeln. Ein überfälliger Schritt, der nun endlich den Weg ebnet und die Vorhaben des Koalitionsvertrags angeht. Klar ist: Die Digitalisierung darf nicht dem Selbstzweck dienen, sondern sollte Arbeitsabläufe vereinfachen und Patientenversorgung und -sicherheit erhöhen. Dazu gehört, den verantwortungsvollen und sicheren Umgang mit Daten aufrecht zu halten. Wie so oft, steckt der Teufel im Detail.

Die Umfrage des BDI legt mit aller Deutlichkeit den Finger in die Wunde. Befunde, die noch per FAX oder in Papierform zur Verfügung gestellt werden, sollten ein Relikt aus dem letzten Jahrhundert sein. Unzureichende digitale Infrastrukturen, verspätetes zur Verfügung stellen von Befunden, fehlende Vernetzung von Praxis und Klinik und Datenschutzvorgaben als Hemmschuh der Digitalisierung für Versorgung und Forschung sind die klar wahrgenommenen und alltäglichen Mängel, die ambulant und stationär tätige Ärztinnen und Ärzte hier mit deutlicher Mehrheit berichten.

Noch viel eklatanter fiel die Kritik gegen die Politik aus. Die Ärzteschaft stellt der Politik ein schlechtes Zeugnis bzgl. ihrer Ambition zur Weiterentwicklung der Digitalisierung und ihrer Finanzierbarkeit aus. Das ist nicht wirklich verwunderlich, wenn man Revue passieren lässt, wie die digitale Transformation des Gesundheitswesens in den letzten 20 Jahren offensichtlich nur als Scheinumsetzung betrieben wurde. Diese Nachricht muss auch in Berlin ankommen und zugleich als Warnung dienen. Als Politiker und Arzt schockiert mich die klaffende Lücke zwischen Soll- und Ist-Zustand.

Glücklicherweise gibt es auch Lichtblicke. Der Digitalisierungsgrad in der Praxis wird von fast 50% der ambulant Befragten positiv bzw. angemessen wahrgenommen. Das ist ein wertvoller Einblick, der sicher auch auf die eigenverantwortlichen Digitalisierungsanstrengungen zurückzuführen ist. Auch in Kliniken gibt es positive Stimmen, wenn auch weit weniger. Die Förderprogramme des Bundes und der Länder, allen voran das KHZG, müssen wohl noch ihre volle Wirkung entfalten. Dies ist ein Anfang, darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dies noch weit weg von unserem Ziel ist. Bei der Angemessenheit der eigenen Digitalisierung ist alles andere als 100% inakzeptabel.

Die Aufgaben an das BMG sind klar definiert. Die digitale Infrastruktur muss ausgebaut und zukunftsfähig gemacht werden, um eine stärkere digitale Vernetzung zu schaffen. Eine ePA muss besser umgesetzt werden, um wirklich wahrnehmbare Mehrwerte zu erreichen. Datenschutz, Haftungsfragen und Kosten müssen einwandfrei geklärt sein. Nutzerfreundlichkeit muss gewährleistet werden, damit Patienten und alle Heilberufe diese wichtige Evolution in der gesundheitlichen Versorgung annehmen.

Den amtierenden Regierungen in Bund und Ländern läuft hier allerdings die Zeit davon, um Initiativen anzugehen. Es ist ihre Aufgabe und Verantwortung, die gesetzlichen und strukturellen Maßnahmen auf- und umzusetzen. Unabhängig davon müssen die Stakeholder aus der Versorgung angehört und in den Transformationsprozess integriert werden. Ihre Stimmen dürfen natürlich nicht ausgeblendet werden. Dabei ist vorsichtiger Optimismus durchaus angebracht. Die ersten Eckpunkte eines Digitalisierungsgesetzes aus dem BMG weisen in die richtige Richtung und adressieren die richtigen Baustellen. Wichtig ist, wenn alle Akteure im Sinne der Patientenversorgung an einem Strang ziehen, können wir zum Erfolg kommen. Es liegt an uns, die Mehrwerte gemeinsam Realität werden zu lassen.

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. med. Andrew Ullmann, MdB, gesundheitspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion sowie Vorstandsmitglied beim BDI, erschienen in der BDI aktuell 04/2023