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| Gastbeitrag

„Wir brauchen dringend eine Reform“

Ein Blick ins Saarland und nach Baden-Württemberg zeigen es: die Auswirkungen des BSG-Urteils auf den Notdienst können fatal sein. Umso wichtiger ist es nach Meinung unseres Gastautors, faire und nachhaltige Lösungen für Poolärzte zu schaffen. Dabei ist auch die Politik gefragt.

© Brian Rauschert

Über die möglichen Auswirkungen des jüngsten Grundsatzurteils des Bundessozialgerichts (BSG) bin ich gerade im Hinblick auf die Zukunft des Notdienstes tief besorgt. Das BSG hat entschieden, dass Poolärzte im vertrags(zahn)ärztlichen Notdienst nicht automatisch als selbstständig gelten und somit der Sozialversicherungspflicht unterliegen. Dies hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Organisation und Finanzierung des Notdienstes. Erste negative Auswirkungen konnten wir schon im Saarland und in Baden-Württemberg, dort insbesondere in Stuttgart, beobachten. Zum Nachteil von Patientinnen und Patienten.

Wie im nebenstehenden Beitrag aus der Verhandlung in Kassel skizziert, hatte ein Zahnarzt, der nach Aufgabe seiner Praxis keine vertragszahnärztliche Zulassung mehr besitzt und soziale Vorsorgeleistungen im Zusammenhang mit seinen Bereitschaftsdiensten beansprucht, geklagt. Die Rentenversicherung hatte die Versicherungspflicht zwar verneint, und die Vorinstanzen bestätigten diese Rechtsauffassung. Das BSG hat jedoch nun entschieden, dass die Teilnahme am Notdienst allein keine Befreiung von der Sozialversicherungspflicht rechtfertigt. Die vollständige schriftliche Begründung des Urteils steht noch aus. Eine Folgeabschätzung ist aber bereits jetzt angeraten.

Folgen und Bedenken

Denn die Beispiele Saarland und Baden-Württemberg zeigen dramatisch, welche Folgen das Urteil haben könnte: Dort werden ab sofort bzw. ab Januar 2024 keine Poolärzte ohne eigene Praxis mehr im Bereitschaftsdienst eingesetzt. Die Kassenärztlichen Vereinigungen stehen vor großen Herausforderungen. Sollten Poolärzte nun standardmäßig als abhängig Beschäftigte eingestuft werden, müssten umgehend Arbeitsverträge mit den Vertretungskräften geschlossen werden. Dies könnte zu einer Rückkehr zur Dienstverpflichtung sämtlicher Vertragsärzte führen, was erhebliche Auswirkungen auf die ambulante Versorgung hätte, einschließlich der Reduzierung von Sprechzeiten und Notdienstzeiten sowie einer möglichen Überlastung der Vertragsärzte und Kliniknotaufnahmen. Ganz zu schweigen vom bürokratischen Mehraufwand, dem kein Nutzen gegenübersteht.

Lösungsansätze

Wie auch immer die vollständige schriftliche Begründung des BSG lauten wird, wenn die Poolärzte ohne eigene Praxis grundsätzlich als abhängig Beschäftigte eingestuft werden, brauchen wir nun dringend eine Gesetzesinitiative, um dieses drängende Problem zu lösen und die Zukunft des Notdienstes zu sichern. Es ist auch eine Grundsatzfrage, ob Poolärzte als abhängig beschäftigt oder als selbstständig Tätige gelten. Es ist unerlässlich, dass wir eine nachhaltige und faire Lösung für die Sozialversicherung der Poolärzte finden und gleichzeitig die Qualität und Verfügbarkeit der Notdienste aufrechterhalten. Die Lösung kann keinesfalls in einer Verbürokratisierung oder sinnlosen finanziellen Belastungen der Ärztinnen und Ärzten bestehen. Hier wird etwas grundsätzlich zum Nachteil der Ärztinnen und Ärzte verändert, nicht auszudenken, wenn noch die Befreiung der Umsatzsteuerpflichtigkeit infrage gestellt wird.

Gesamtreform nötig

Dass dieses Thema durch das BSG jetzt in solch schwerwiegender Form aufgeworfen wird, kann aber auch von Vorteil sein. Denn wir brauchen dringend eine Reform der Notfallversorgung und damit verbunden auch der Rettungsdienste und damit verbunden des vertragsärztlichen Notdienstes, der weiterhin eine tragende Rolle in der Notfallversorgung spielen wird. Karl Lauterbach steht diesbezüglich im Wort und die Reform darf sich keinesfalls weiter verzögern oder gar scheitern. Bei den Grundzügen sind wir uns in der Koalition relativ einig. Aber wir erwarten zeitnah, noch dieses Jahr, Vorschläge aus dem BMG, die sich rechtssicher umsetzen lassen und welche die komplexe Zuständigkeitsstruktur zwischen Bund und Ländern beachten und dabei auch das vom Bundessozialgericht aufgeworfene Problem adressieren.

Was keinesfalls passieren darf, ist, dass die Entscheidung des BSG ein weiterer Schritt in die Richtung einer Staatsmedizin wird, die nur noch durch das Gesundheitsministerium und angestellte Ärztinnen und Ärzte geprägt wird.

Finanzierung neu regeln

Ziel der Gesamtreform sollte dabei auch eine Vereinheitlichung der Vergütung sein. Insbesondere muss über die Gegenfinanzierung bzw. die Vorhaltekosten des Einsatzes der KVen nachgedacht werden. Hier darf es nicht zu Einsparungen auf Seiten der Krankenhäuser zum Nachteil der niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte kommen. Wir brauchen Anreize, um Kapazitäten zu entfalten und so unnötige und teure Einsätze zu vermeiden. Das Urteil des BSG führt genau zum Gegenteil.

Es liegt an uns, als medizinische und politische Gemeinschaft, auf dieses Urteil zu reagieren und nachhaltige Lösungen zu finden, die sowohl die Rechte der Poolärzte als auch die Qualität und Verfügbarkeit der Notdienste gewährleisten.

Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. med. Andrew Ullmann, Mitglied im BDI-Vorstand und gesundheitspolitischer Sprecher der FDP im Bundestag, erschienen in der BDI aktuell 12/2023/1/2024