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PJ: Schlechte Zeiten im Schlaglicht

Zeit für gute Lehre, ausreichend Mentoring – das fehlt im Praktischen Jahr (PJ). Von einer auskömmlichen Vergütung einmal ganz abgesehen. Dabei sind die Missstände nicht erst seit der aktuellen PJ-Baromter-Befragung bekannt. Warum nur tut sich nichts? Eine Analyse.

© Robert Kneschke – stock.adobe.com

Das Praktische Jahr (PJ) stellt für viele Medizinstudierende in Deutschland den Höhepunkt ihrer Ausbildung dar. Es bietet die Möglichkeit, theoretische Kenntnisse praktisch anzuwenden und Erfahrungen und Kontakte für die weitere Kliniklaufbahn zu sammeln.

Für das „PJ-Barometer 2023“ des Marburger Bunds (MB) wurden 1700 Medizinstudierende im Praktischen Jahr sowie Ärztinnen und Ärzte, deren PJ nicht länger als drei Jahre zurückliegt, befragt. 60 % der Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer verbringen mehr als 40 Stunden in der Klinik, 52 % leisteten mindestens einen Wochenenddienst im Monat. In nur 59 % der Fälle werden Lehrveranstaltungen angeboten, Mentoren oder Lehrbeauftragte hatten nur 58 % der Befragten.

Eher etwas für Wohlhabende

Dabei prägen Hilfsarbeiten den Alltag: Blutentnahmen (97 %), Botengänge (83 %) – im Freitext wird oft „Haken und Klappe halten“ genannt. Gefährlich: Kernleistungen wie Anamnesen, Untersuchungen und Aufklärungsgespräche wurden von 77 % ohne Anleitung und Aufsicht durchgeführt.

Und: Das PJ scheint eher für Wohlhabende zu sein. Die Vergütung ist nicht existent (11 %) bis mangelhaft (62 %: 301-649 Euro). Bei den 14 % mit BAföG, wird die Vergütung hiervon abgezogen. Damit sind 78 % der Befragten auf elterliches Geld angewiesen – wer das nicht hat, hat auch kaum Zeit für einen Nebenerwerb.

So besorgniserregend die harten Zahlen sind, der Kontext macht es nicht besser. Als Reaktion wurde vom Marburger Bund (MB) ein Antrag am Ärztetag eingebracht, der ein Anrecht auf Krankheitstage, die nicht vom Urlaub abgezogen werden und eine einheitliche, höhere Vergütung fordert.

Finanzielle Sicherheit während PJ und Studium ist wichtige Grundlage für soziale Chancengleichheit. Krankschreibungen sind zu Recht ein Grundsockel unseres Arbeitsrechts. Eines sind sie aber nicht: Garanten für eine gute medizinische Ausbildung. Vielmehr steht zu befürchten, dass mit einem arbeitsähnlichen Verhältnis, die Nutzung als Hilfskräfte zunehmen wird – es wird immerhin bezahlt.

Jenseits von idealistischer Motivation gibt es aktuell wenig Anreiz für die Kliniken, sich um bessere PJ-Bedingungen zu kümmern: Gelder oder ärztliche Stellen wirbt man damit nicht ein, für universitäre Karrieren hat es keine Relevanz. Allenfalls sehen es Kliniken, die schon heute an Personalmangel leiden als Recruiting-Strategie. Und es ist kein Lösungskonzept in Aussicht.

Warnsignale endlich ernst nehmen

Diese Umfrage sendet zwei große Warnsignale: Erstens bewerten die Studierenden die Lehre mit guten Schulnoten (1: 16%, 2: 35%, 3: 31%). Aber auf ihre Aufgaben vorbereitet fühlen sich nur 45 % der Befragten. Die Erwartungen ans PJ wurden also schon der Realität angepasst. Im universitären Alltag kann man diese Desillusionierung erleben. Viele suchen aktiv nach Karrieren außerhalb des Gesundheitswesens. Für ehrenamtliches berufspolitisches Engagement fehlt es an Zeit, Kraft, aber auch am Gefühl, etwas verändern zu können.

Hier kommen wir zum zweiten Problem: Der MB stellt fest, dass PJler als Lückenbüßer verwendet werden. Der Schluss von der „schwierige[n] Personallage“ auf die Qualität der Lehre liegt nahe. Aus dem Alltag kennt man: Patientenversorgung geht vor Lehre.

Es stellt sich jedoch die Frage: Was macht der MB dagegen? Die PJ-Umfrage zeigte vor fünf Jahren die gleichen Ergebnisse. In zurückliegenden Tarifverhandlungen zeigt der MB jedoch eine Fokussierung auf Finanzielles. Ein erkennbares Konzept zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen fehlt in aktuellen Forderungen und Abschlüssen. Es ist an der Zeit, dass die Gewerkschaft ihre Prioritäten überdenkt und den Fokus auf die Verbesserung der Arbeitsbedingungen richtet. Es ist nicht zu leugnen, dass die wichtigen Personalien in Gewerkschaft und Standesvertretung sowohl in Klinik als auch in Verbänden weit von den Interessen des Nachwuchses entfernt sind. Das PJ ist mit 12 Monaten zu kurz und fordernd, um sich durch die Gremien und Sitzungen zu arbeiten. Ähnliches gilt für die Weiterbildung. Das zu ändern, erfordert Mut, neue Konzepte und eine Verbandspolitik, die die Betroffenen in den Fokus stellt.

Das deutsche Gesundheitssystem steuert auf schwierige Jahre zu: Fachkräftemangel, demografischer Wandel, Reformen. Wir werden uns fragen müssen: Was haben wir für die Ausbildung und die berufliche Perspektive des Nachwuchses getan? Das PJ ist ein hervorragender Indikator. Man muss nur zuhören und entschlossen handeln wollen.

Ein Beitrag von Julian Gabrysch, Arzt in Weiterbildung an der Berliner Charité und BDI-Mitglied, erschienen in der BDI aktuell 07+08/2023