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Unverschämte Forderungen? Keineswegs!

Die Stimmung in den Praxen ist auf dem Tiefpunkt: Mangelnde Anerkennung durch die Regierung und deren Gesundheitsminister, Kostendruck und auf der anderen Seite der Wunsch, die Patienten gut zu versorgen. Angiologin Alexandra Turowski und Hausarzt Dr. Johannes Nolte berichten, warum sie sich am Praxisstreik am 2. Oktober beteiligt haben. Und welche Rahmenbedingungen eine zukunftsfähige ambulante Medizin bräuchte.

© Privat

© Mike Auerbach

BDIaktuell: Sie haben sich beide mit ihren Praxen an der bundesweiten Streikaktion am 2. Oktober aktiv beteiligt. Warum war Ihnen das wichtig?

Alexandra Turowski: Das Warum hat bereits in der Pandemie seinen Ursprung. Die vielen Unsicherheiten, die hohen Anforderungen an die Praxen in der Zeit, das quasi Rund-um-die-Uhr-Dasein für die Versorgung. Auf der anderen Seite hat es uns auch stolz gemacht, dass wir das so gut geschafft haben. Wir haben Impfaktionen angeboten, wir sind alle ohne schwere COVID-Verläufe durchgekommen, wir haben die Praxis gehalten, haben die Patientinnen und Patienten versorgen können, waren immer Ansprechpartner. Da waren wir hinterher schon enttäuscht über den fehlenden Respekt von der Regierung.

Die Krankenhäuser hatten damals zusätzliche Gelder bekommen, es gab dort die Corona-Prämie, Versorgungsfragen wurden ganz unbürokratisch geregelt. Das hatten wir alles nicht im ambulanten Bereich. Das war der Moment, wo wir anfingen, uns Sorgen zu machen, dass gar nicht gesehen wird, was wir leisten.

Dann kam noch die Abschaffung der Neupatientenregelung mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz dazu. Das unter dem zugleich bestehenden Kostendruck durch Energiekrise, Inflation und Mietsteigerungen. Da war dann bei mir und meinen Kolleginnen und Kollegen der Punkt erreicht, wo wir entschieden haben, wir müssen uns bemerkbar machen, sonst sind wir vielleicht schon in der stillen Auflösung. Vielleicht waren wir bisher auch zu leise.

Herr Dr. Nolte, wie sehen Sie das?

Dr. Johannes Nolte: Wir nähern uns einem Kipppunkt und müssen immer wieder feststellen, dass Minister Lauterbach unsere Notlage nicht tangiert. Vielmehr noch: Man bekommt den Eindruck, als wäre dem Minister es nur Recht, wenn die Vertragsärzteschaft langsam aber sicher verschwindet.

Frau Turowski, als Vorsitzende des Berufsverbandes der Angiologinnen und Angiologen haben Sie die Probleme der Niedergelassenen ja durchaus an den Gesundheitsminister adressiert. Haben Sie denselben Eindruck wie Dr. Nolte, dass die Probleme der Niedergelassenen bei Lauterbach kein Gehör finden?

Turowski: Ja. Wir haben auch Abgeordnete angeschrieben. Aber es kam auch dort nicht an, dass wir ein Problem haben, unsere Praxen unter diesen Rahmenbedingungen künftig aufrechtzuerhalten. Von Herrn Lauterbach habe ich bisher nur widergespiegelt bekommen, dass wir unverschämte Forderungen stellen.

Wie haben Sie denn nun den Streiktag selbst wahrgenommen.

Nolte: Als sehr erfolgreich – vor allem in der medialen Wahrnehmung! Insbesondere wenn man bedenkt, dass die Vorbereitungszeit doch sehr kurz war und uns niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen nur wenig Informationsmaterial zur Verfügung stand.

Das hört sich etwas kritisch gegenüber den Initiatoren des Streiktages an?

Nolte: Nein, gar nicht. Es war nur einfach ein kurzer Vorlauf. Umso bemerkenswerter ist der bundesweite Effekt des Streiks. Sollten wir uns mit unseren Initiativen entschließen erneut zu streiken, ist dann eben noch Luft nach oben und es wird noch erfolgreicher werden.

Turowski: So ein bisschen hatte ich natürlich gehofft, wenn wir wieder aufmachen kommt die Ansage, „Ja, Ihr werdet entbudgetiert“ (schmunzelt). Stattdessen sind wir dann wieder in einen ganz normalen Praxisarbeitstag gestartet und es war recht ruhig um uns herum. Für mich war es trotzdem wichtig, den Patienten zu zeigen, dass es um ihre Versorgung geht. Dass wir befürchten, dass es zu Leistungseinschränkungen bzw. Versorgungsproblemen kommt, wenn die ambulante Versorgung weiter so ausgetrocknet wird. Was wir wirklich bewirkt haben, weiß ich noch nicht, aber ich hoffe, dass es ein Signal war.

Haben Sie denn Feedback von Patienten bekommen?

Turowski: Tatsächlich kommt von Patientenseite sehr viel Anerkennung. Die Patientinnen und Patienten nehmen schon wahr, dass nicht mehr alles so selbstverständlich ist, sie bedanken sich für Termine.

Die KBV hat sieben Forderung an Lauterbach gestellt. Was wären denn aus Ihrer Sicht die drei wichtigsten Dinge, die zügig angegangen werden müssten?

Turowski: Dringend und langfristig am wirksamsten wäre natürlich die Entbudgetierung. Die Leistung, die wir jetzt erbringen, würde dann nämlich auch wieder honoriert werden. Damit könnten wir wieder wirtschaftlich agieren. Wir sorgen uns aber auch um die ärztliche Weiterbildung und die Praxinachfolge. Wir brauchen eine gute Finanzierung der ambulanten Weiterbildung. Denn mit der Ambulantisierung in den Kliniken wird zwangsläufig die Weiterbildung in den Häusern schwieriger. Wichtig wäre zudem, dass wir gutes Personal in den Praxen halten und gewinnen können. Nur so können wir die Praxen aufrechterhalten.

Wie geht es denn jetzt weiter? Herr Dr. Nolte, was planen Sie in Nordrhein?

Nolte: Gemeinsam mit 28 anderen Berufsverbänden hat der BDI eine Initiative gestartet, um in den nächsten Monaten den Druck auf Minister Lauterbach zu erhöhen. Ich bringe mich hier für den BDI ein. Es sind viele Maßnahmen geplant, über welche man sich auf praxenkollaps.de informieren kann. Neben Erklärvideos sind gerade zahlreiche Aktionen in Planung. Eine davon ist z.B. ein telefonfreier Mittwoch mit entsprechender Information der Patienten auf dem Anrufbeantworter. Wir müssen unsere Nöte an unsere Patienten kommunizieren, wenn der Minister sie nicht anders hört.

Frau Turowski, wie sieht es bei Ihnen im Verband und in Berlin aus?

Turowski: Ganz konkret sind unsere Überlegungen, die Vier-Tage-Woche einzuführen. Dass man also den fünften Tag als Bürotag nimmt. Fällig ist dieser Arbeitstag für die Bürokratie sowieso, jetzt rutscht die Arbeit aber immer ins Wochenende. Wir würden also nur vier Tage die Praxis aufmachen und hätten damit die bisherige Kürzung der Patientenfälle beim Honorar abgegolten. Dies hätte längere Wartezeiten auf Termine zur Folge. Bisher haben wir Niedergelassenen diese Versorgungsengpässe gut durch unbezahlte Mehrarbeit ausgeglichen. Da muss man sich künftig schon selbst zwingen, die Mehrarbeit einzuschränken. Das wird auch mir sicherlich schwerfallen. Zudem stimme ich Herrn Nolte zu, dass wir die Patienten stärker einbeziehen müssen. Wir wollen etwa Unterschriften sammeln, die wir dann an den Minister und Abgeordnete schicken.

Das heißt aber auch, wenn es kein Budget gäbe, würden Sie normal fünf Tage arbeiten? Oder sogar noch mehr Patienten als bisher versorgen?

Turowski: Ja. Jetzt arbeite ich ja so, also mit fünf offenen Praxistagen und bekomme immer den Abzug am Ende des Quartals. Wenn ich die entsprechende Vergütung hätte, könnte ich die Versorgung hochhalten und mehr leisten. Das macht schon etwas aus. Dann könnte ich mir eine MFA mehr leisten, die mir natürlich auch Arbeit abnimmt. Eines unserer Probleme ist ja gerade, dass wir gar nicht so viele Arbeiten delegieren können, weil uns MFA fehlen. Wir Niedergelassenen könnten viel mehr stemmen unter den richtigen Rahmenbedingungen.

Alexandra Turowski ist als Angiologin in einer Gemeinschaftspraxis in Berlin niedergelassen und Vorsitzende des Berufsverbandes der Angiologinnen und Angiologen Deutschlands

Dr. Johannes Nolte ist als hausärztlich tätiger Internist in einer Gemeinschaftspraxis in Köln niedergelassen

Das Interview führte Dr. Kevin Schulte unter Mitarbeit von Rebekka Höhl, erschienen in der BDI aktuell 11/2023