Die Pleitenserie reißt nicht ab. Anfang November hat die Kassenärztliche Vereinigung Westfalen-Lippe angekündigt, den Rollout für das elektronische Rezept (E-Rezept) vorerst zu stoppen. Sie ist nach Schleswig-Holstein die zweite Testregion, die sich aufgrund datenschutzrechtlicher Bedenken am Ausstellungs- und Einlöseprozess mittels elektronischer Gesundheitskarte gezwungen sieht, die Reißleine zu ziehen. Damit verschiebt sich der Start mindestens bis Sommer 2023.
Das E-Rezept ist nur eines von vielen Digitalisierungsprojekten, das nicht so recht vom Fleck kommt. Dabei spielt auch immer wieder der in Deutschland übertrieben praktizierte Datenschutz eine Rolle. Das gilt aus ärztlicher Sicht insbesondere für den Austausch von Patientendaten – sowohl innerhalb eines Versorgungsbereiches als auch sektorenübergreifend – und die Auswertung von Daten zu Forschungszwecken.
Datengesetz bis Jahresende geplant
Grundsätzlich ist die informationelle Selbstbestimmung des Patienten immer das oberste Gut. Viele Bürgerinnen und Bürger sind jedoch bereit, ihre Gesundheitsdaten zu Studienzwecken zur Verfügung zu stellen. Gesundheitsdaten können Leben
retten. Das hat uns nicht zuletzt die Corona-Pandemie vor Augen geführt. Vor diesem Hintergrund ist der Grundsatz der Datensparsamkeit nicht nur kontraproduktiv; Daten nicht in dem erforderlichen Umfang zu nutzen, verletzt auch die staatliche Pflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit. Ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz soll deshalb noch bis Ende des Jahres kommen.
Das Bundesgesundheitsministerium hat sich im Bereich Digitalisierung hohe Ziele gesteckt und eine ambitionierte Digitalisierungsstrategie für diese Legislaturperiode erarbeitet. Abteilungsleiterin Dr.
Susanne Ozegowski möchte diese mit einem frischen Geist voranbringen. Nach der massiven Kritik am Vorgehen der letzten Jahre soll der Prozess offener und partizipativer sein. Die ersten Experteninterviews und Fachforen sind bereits abgeschlossen. Die Vorstellung der Strategie ist für das Frühjahr 2023 geplant.
Ein Kernelement dieser Strategie ist die elektronische Patientenakte (ePA) als Opt-out-Lösung. Anders als bisher soll die Akte zukünftig für alle Versicherten automatisch eingerichtet werden – wer das nicht möchte, muss aktiv widersprechen. Auch der Deutsche Ärztetag hatte sich für diese Variante ausgesprochen. Mit der neuen ePA sollen sämtliche an einer Behandlung beteiligte Leistungserbringer schnell und effizient einen Überblick über die Krankheitsgeschichte bekommen. Dafür sollen neben einem Medikationsplan auch Arztbriefe und Befunde integriert werden, sodass diese künftig nicht mehr in Papierform vorliegen und per Post oder Fax versendet werden müssen. Mit dem TI-Messenger sollen zudem alle Heilberufe und medizinischen Einrichtungen mit TI-Zugang ab 2023 Kurznachrichten sektorübergreifend sicher austauschen können.
Medizin im Homeoffice?
Es klingt fast zu schön, um wahr zu sein. Sollten die Pläne tatsächlich in dieser Form umgesetzt werden, wäre das ein massiver Fortschritt für die Patientenbehandlung. Zudem haben digitale Lösungen auch das Potenzial, den ärztlichen Arbeitsalltag zu entschlacken: von unnötiger Bürokratie und auch der Pflicht, immer vor Ort zu sein – zumindest für bestimmte Aufgaben. Ein modernes Gesundheitswesen muss diese Möglichkeiten bieten, um ein attraktiver Arbeitsort zu bleiben. Wie es geht, haben andere Branchen längst vorgemacht.
Ein Beitrag von Bastian Schroeder, erschienen in der BDI aktuell 12/2022