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Schlecht beraten

BDI-Präsidentin Christine Neumann-Grutzeck / © Privat

Je länger man darüber nachdenkt, desto absurder wird es. Dass Apothekerinnen und Apotheker zunehmend ärztliche Leistungen für sich beanspruchen, erleben und kritisieren wir seit geraumer Zeit: Erst die Grippeimpfung, die trotz mäßig erfolgreicher Modellprojekte kürzlich in die Regelversorgung überführt wurde. Dann die Corona-Schutzimpfung, als die Impfkampagne ihren Zenit längst überschritten hatte. Und jetzt die Ausweitung der besonderen Betreuungsleistungen – quasi ein verspätetes Geschenk unseres Gesundheitsministers a.D. Jens Spahn.

Seit 2020 hatten der GKV-Spitzenverband und der Deutsche Apothekerverband über die Höhe der Honorare für diese Leistungen gestritten. Deswegen wurden diese jetzt von der Schiedsstelle festgelegt. Patientinnen und Patienten können zukünftig also anspruchsvolle Beratungen zur Arzneimittelsicherheit, Blutdruckkontrollen und Schulung der Inhalationstechnik bei Asthma und COPD in Apotheken als Kassenleistung erhalten. Dazu zählen auch Beratungen für Organtransplantierte, Krebspatienten, Diabetiker und Hypertoniker. Das ist nicht nur ordnungspolitischer Unfug, sondern auch ein Eingriff in unsere ärztliche Therapiefreiheit.

Gerade Patienten mit hochkomplexen internistischen Krankheitsbildern können in der Apotheke nicht adäquat beraten werden. Apothekerinnen und Apotheker haben weder die Kenntnisse über Vorbefunde und Komorbiditäten, noch die Laborwerte, um eine medizinisch sachgerechte Empfehlung geben zu können. Zudem sind sie nicht dafür ausgebildet, diese Informationen zu interpretieren. Die Wechselwirkungen, Interaktionen und Kontraindikationen im Zusammenhang mit dem individuellen Therapieziel abzuwägen, ist eine ärztliche Aufgabe!

Es ist fraglich, wie durch eine „Zweitmeinung light“ ein besseres Medikationsmanagement erreicht werden soll. Vielmehr sollten wir uns jetzt schon darauf einstellen, dass Patientinnen und Patienten durch ihren Apothekenbesuch eher verunsichert werden, wenn sie dort auf Bedenken zu einer ärztlichen Verordnung treffen. Bestenfalls sitzt der Patient dann am nächsten Tag wieder in der Praxis. Im schlimmsten Fall führt diese Verunsicherung aber zu einer geringeren Adhärenz. Das schmälert die Aussichten auf einen Behandlungserfolg. Darunter würde nicht nur das Vertrauen in die behandelnden Ärzte, sondern auch das in die Apotheker leiden. Kann das im Sinne des Gesetzgebers sein?

Es wäre schön, wenn die Politik die ohnehin knappen Ressourcen der Versicherten in Projekte investiert, die die Versorgung tatsächlich verbessern. Anstatt Apotheken mit fragwürdigen
Konjunkturprogrammen zu stärken, wären digitale Medikationspläne, die jederzeit sektorenübergreifend abrufbar sind, eine echte Hilfe. So könnten Fehler an den Schnittstellen reduziert werden.
Es gibt eine bewährte und klare Aufgabenverteilung zwischen Ärzten und Apothekern. Dabei sollte es im Sinne der Patienten auch bleiben. Darüber hinaus ist der Schiedsspruch angesichts der vertragsärztlichen Budgets eine Farce, denn ärztliche Kolleginnen und Kollegen erhalten für dieselben Leistungen nur einen Bruchteil des Honorars. Gut verhandelt, muss man neidlos anerkennen. Immerhin ist es gut zu wissen, dass wir uns in Zukunft an den Apothekenpreisen orientieren dürfen. Das sollte im Bewertungsausschuss jetzt keine Hürde mehr darstellen.

Ihre

Christine Neumann-Grutzeck
Präsidentin

Erschienen in BDIaktuell 07&08/2022