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Patient Gesundheitswesen

Wir alle kennen diese Patienten. Vor über 10 Jahren haben sie einen Schlaganfall erlitten und sind seither bettlägerig. Wir „doktern“ hier ein bisschen und da ein bisschen. Aber letztlich können wir den Gesamtzustand des Patienten nicht ändern. Es bleiben oft Patienten mit wenig Lebensqualität. Aber wie viel Qualität ist genug? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Manchen Patienten genügt ein Lächeln oder ein Händedruck. Andere wiederholen bei jedem Arztbesuch ihr „Ich will nicht mehr“. Auf diese Weise lernen wir unseren Patienten-Mikrokosmos kennen. Aber geht es unserem Makrokosmos, unserem Gesundheitswesen, nicht ganz ähnlich? Beklagt werden u.a. erschwerte Zugänge zu Facharztterminen, lange Wartezeiten, unklare Behandlungswege, Ärzte- und Pflegekräftemangel, schwindende Finanzmittel, um nur einige Punkte anzusprechen. Der Ruf nach einer generellen Lösung wird laut. Aber was ist generell? 

Am besten alles neu und anders. Wunschdenken, nach meinen älteren Patienten, wären Zustände wie beim Landarzt aus dem TV. Er kann alles, macht alles. Die Wartezimmer sind max. mit 1-3 Patienten besetzt, und wenn ich meinen Termin nicht wahrnehme, dann fährt er nach der Sprechstunde zu mir, um nach dem Rechten zu sehen. 

Wie wollen wir nun die große, vollumfängliche Veränderung erzielen? Unsere Visionen sind groß. Aber so sehr Befürworter einer Sache dafür kämpfen, Ideen werden meist im Ansatz erstickt durch Zauderer, Zweifler und Zerdenker. Am Ende wird beschnitten und gekürzt. Bestürzt stellt man im Verlauf fest, dass der Kompromiss in der „Versorgung der offenen Unterschenkelfraktur“dazu führte, dass man einen Verband anlegte, damit das Problem nicht mehr gesehen wird, und alle sind beruhigt. Man lehnt sich zufrieden zurück und wartet auf den Applaus. Schauen wir uns die aktuelle „Heilidee“ für unser Gesundheitswesen an. Die Krankenhausreform (KHVVG). Eine Reform ist unumgänglich, und jeder Reformgedanke ist ein guter. Bezüglich der Krankenhausdichte in Deutschland in den einzelnen Bundesländern können wir feststellen, dass über die letzten vier Jahre bereits eine deutliche Reduktion der Krankenhäuser stattgefunden hat. Auffällig ist aber, dass Berlin 2023 die gleiche Krankenhausdichte aufwies wie Mecklenburg-Vorpommern oder Hessen. Zudem frage ich mich, warum Hamburg 3,3 Krankenhäuser auf 100.000 Einwohner aufweist und damit die höchste Krankenhausdichte aller Bundesländer hat. Zweifelsfrei kann hier eine Krankenhausreform greifen. Aber gilt das auch im bevölkerungsarmen Flächenland mit überalteter Bevölkerung? 

Es droht eine Verschlechterung der ärztlichen Versorgung, längere Anfahrtswege in spezialisierte Kliniken, ohne gleichzeitig das Problem der Distanz zum stationären Versorger durch eine Aufwertung der prähospitalen Versorgung zu optimieren, etwa durch die Stärkung der Notarzteinsatzkapazität oder flächendeckende Hubschraubereinsatzmöglichkeiten und -ressourcen zu schaffen (wie z.B. im Nachbarland Dänemark erfolgt). Zudem ergeben sich schlechtere Weiterbildungsmöglichkeiten für angehende Fachärzte/-innen, die dringend in diese Regionen rekrutiert werden sollten. Wieder ist nicht kommuniziert worden. Wir müssen dringend weg von unserer Streitkultur in Deutschland, beherrscht von destruktivem Zerreden, Beleidigungen und dem Anprangern. Je beleidigender, je polemischer, desto populärer in den sozialen Medien. Vorbei ist der Nutzen einer konstruktiven Diskussion, vorbei ist das Schätzen unterschiedlicher bereichernder Meinungen, um bestmögliche Lösungen zu schaffen. Wir Deutschen sind herausragend im Entwickeln. Aber wie gut sind Veränderungen, wenn die Expertise der ausführenden Organe belächelt oder gar nicht erst angehört wird? 

Ähnliches gilt für die Öffnung von Krankenhäusern für vertragsärztliche Leistungen. Schaffen wir uns damit nicht eine überdimensionale Konkurrenz zur ambulanten Versorgung, die gleichzeitig aber die Kapazitäten der ohnehin schon belasteten Krankenhausärzte überschreitet? 

Es bleibt der schale Geschmack der halbherzigen Lösungen, das Gefühl, nach 24 Jahren berufspolitischer Arbeit erstmals gegen Wände zu rennen. Heute kenne ich noch nicht das Ergebnis unserer Bundestagswahl. Aber ich wünsche mir eine zukünftige Zusammenarbeit mit allen Akteuren des Gesundheitswesens und einen wertschätzenden Umgang miteinander für echte Lösungsansätze. 

Ihre

Dr. med. Iris Cathrin Illing
AG Hausärztlich tätige Internistinnen und Internisten

Erschienen in "CME" 3/2025