Die Lage in den Krankenhäusern ist geprägt von personalmangelbedingten Leistungs- und Versorgungslücken in der Krankenhauspflege und von unzumutbaren Rahmenbedingungen für Beschäftigte. Die Folge ist eine Berufsflucht, die eine Spirale immer schlechterer Bedingungen befördert.
Dieser Teufelskreis muss mit bedarfsgerechten Personalvorgaben und besseren Arbeitsbedingungen in der Pflege durchbrochen werden. Eine aktuell durch die Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichte Studie „Ich pflege wieder, wenn…“ zeigt, dass die Kapazität von mindestens 300.000 Vollzeit-Pflegekräften in Deutschland durch Rückkehr in den Beruf oder Aufstockung der Arbeitszeit zusätzlich zur Verfügung stehen, sofern sich die Arbeitsbedingungen deutlich verbessern.
77 Tage Streik in NRW
Für den Tarifvertrag (TV) Entlastung haben sich unter anderem Pflegerinnen und Pfleger, therapeutische Berufe, Ambulanzpersonal, Funktionsdienste, Servicekräfte, Transportdienste, Lager- und Logistikpersonal sowie Verwaltungsberufe in vielfältiger Form vor und nach der Landtagswahl NRW engagiert und am Ende 77 Tage lang gestreikt.
Zuvor hatten sie mit einem Notruf den Personalmangel öffentlich gemacht. Bei der Auseinandersetzung ging es um das Engagement der Gewerkschaftsmitglieder gegen Ökonomisierungs- und Privatisierungsprozesse und für die wohlfahrtsstaatliche Verantwortung adäquater Versorgungsstrukturen. In ihrer zehnten Streikwoche wandten sich Streikende aus den Unikliniken in NRW an die Öffentlichkeit und stellten ein „Schwarzbuch“ vor. Darin dokumentieren sie die ungeheuren körperlichen und psychischen Belastungen für die Beschäftigten, aber auch Ereignisse, bei denen Patient*innen durch den Personalmangel zu Schaden gekommen sind. Sie machen damit klar, dass es in bei diesem Entlastungstarifvertrag nicht nur um die Belange der Beschäftigten, sondern auch um die Gesundheit und das Leben der Patient*innen geht.
Wir sind weit gekommen
Der Entlastungstarifvertrag NRW enthält die weitreichendsten Vereinbarungen zu Entlastung, die bisher in Tarifauseinandersetzungen durchsetzbar waren. Erstmals in einem gemeinsamen TV Entlastung für mehrere Maximalversorger mit vielen Fachgebieten und Berufsgruppen. Der Vertrag hält Mindestbesetzungen von Stationen und Belastungsausgleiche fest.
Das Grundgesetz garantiert in Artikel 9 Abs. 3 die Koalitionsfreiheit. Dazu gehört das Recht, Arbeitskämpfe als Mittel zum Abschluss von Tarifverträgen einzusetzen. Wie sonst sollten sich Arbeits- und Wirtschaftsbeziehungen bei Interessengegensätzen von Arbeitgebern und Beschäftigten weiterentwickeln lassen?
In Einrichtungen der öffentlichen Sicherheit und Daseinsvorsorge beeinträchtigen Streiks stets auch Dritte oder die Allgemeinheit, wenn etwa Beschäftigte aus Versorgungsunternehmen (Strom, Gas, Wasser), der Müllentsorgung, aber auch Kita-Beschäftigte, Ärzte, Fluglotsen und Lokführer diese tragen. Da DRG die wirtschaftliche Grundlage von Krankenhäusern bilden, können OP-Säle und Bettenstreiks nicht per se von tariflichen Auseinandersetzungen ausgenommen werden. Dabei geht es aber auch um den Respekt vor dem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
Das Arbeitsgericht Bonn und das Landesarbeitsgericht Köln haben in der aktuellen Auseinandersetzung Anträge der Uniklinik Bonn auf Untersagung der Streiks zurückgewiesen. Durch Notdienstvereinbarungen war eine angemessene, ausreichende und geeignete Notversorgung sichergestellt. Nach drei Wochen Streik wurde das Notdienstniveau um weitere OP-Säle erhöht. Tagesaktuell wurde durchgängig in den gemeinsamen Clearingstellen auf spontane und planbare Notfälle durch temporäre Arbeitsaufnahme von Streikenden reagiert. Inzwischen werben die Unikliniken NRW mit den attraktivsten Arbeits- und Behandlungsbedingungen.
Uwe Meyeringh, ver.di Landesbezirk NRW, stellvertretender Landesfachbereichsleiter Fachbereich Gesundheit, Soziale Dienste, Bildung und Wissenschaft
veröffentlicht in BDIaktuell 10/2022