Wesentliche Ziele müssen bei erhaltener Kosteneffizienz die Entlastung von Rettungsdienst und Krankenhäusern bei Aufrechterhaltung der Patientensicherheit sein. Es muss geklärt sein, welche Konsequenzen eine direkte Vorstellung in der Notaufnahme ohne das steuernde Element der telefonischen Ersteinschätzung hat. Wie wird bei Nichtbeachtung verfahren? Müssen die Notaufnahmen hier ein Malus-System einführen? Wird dann eine Erinnerungsgebühr notwendig? Was passiert, wenn der Patient einen zeitkritischen Notfall hat und sich selbst in der Notaufnahme vorstellt? Hier besteht die Gefahr, dass zeitkritische Notfälle verkannt und verzögert werden. Kann die Zwei-Klassen-Medizin auch dadurch verschärft werden, dass Privatpatienten ins Krankenhaus gehen dürfen, gesetzlich Versicherte aber nicht? Ist es ein Behandlungsverbot bzw. die fehlende Abrechnungsmöglichkeit durch das Krankenhaus, dessen Notaufnahme dann nicht entlastet, sondern mit der zusätzlichen Aufgabe der Ersteinschätzung analog zum aktuellen G-BA-Beschluss betraut wird? Wendet sich der „schlaue Patient“ an den Rettungsdienst, um den Anruf bei der 116 117 zu umgehen und schnellstmöglich in die Notaufnahme zu kommen?
Die Ersteinschätzenden werden analog zum aktuellen G-BA-Beschluss in die Verantwortung genommen, sie müssen die Einschätzung der Dringlichkeit der Behandlung am Telefon vornehmen. Dies erfordert a) mehr Personal mit obligatorischer medizinischer Ausbildung, b) eine intensivere Schulung, c) einen verstärkten Ausbau der Telemedizin und letztlich
d) eine Softwareunterstützung, über die derzeit viel geredet wird, deren Evaluierung in der Praxis aber noch aussteht. All dies führt dazu, dass die 116 117 derzeit lange Wartezeiten bietet und zudem aus Sicht der Krankenhäuser und des Rettungsdienstes zu viele Patienten weiterleitet, da eben bei Weitem nicht jeder ohne persönliche Sichtung durch geschultes Personal adäquat beurteilt werden kann und die Verantwortung, die sofortige Sichtung in der Notaufnahme zu vermeiden, nicht auf sich genommen wird.
Letztlich wird hier ein zusätzliches Element in die Notfallversorgung eingeführt, das nicht kostenneutral zu realisieren ist, das im Notfall eine zeitkritische Versorgung verzögern kann und dessen Potenzial zur endgültigen und verbindlichen Entlastung der Notaufnahmen nicht abschätzbar ist. Besser wäre, wenn die KV ihrer Verantwortung in der ambulanten Notfallversorgung vollumfänglich gerecht wird und Expertise für die notwendigen diagnostischen Verfahren und Behandlungen rund um die Uhr vorhält oder aber erkennt, dass die Vorhaltekosten immens sind und daher die Kliniken für die Notfallversorgung weit mehr als bisher bedacht werden müssen, um überlastete Notfallzentren auszubauen und damit dem Versorgungsauftrag des ambulanten Sektors gerecht zu werden. Dies gerne in Zusammenarbeit mit der KV in integrierten Notfallzentren oder gemeinsamen Anlaufpraxen.
Ein Gastbeitrag von Dr. Sebastian Wolfrum, Ärztlicher Leiter der Interdisziplinären Notaufnahme Campus Lübeck des UKSH, erschienen in der BDI aktuell 09/2023
(An dem Beitrag hat Prof. Hans-Jörg Busch vom Universitäts-Notfall-Zentrum Freiburg mitgewirkt)