Seit der Einführung von MVZ in 2004 und der Möglichkeit zur Anstellung von Ärztinnen und Ärzten in Arztpraxen in 2007 gehört beides zum Bild der ambulanten vertragsärztlichen Versorgung. Ende 2021 arbeiteten 72,5 Prozent aller Ärztinnen und Ärzte als Angestellte, nach der KBV-Statistik 26,5 Prozent der vertragsärztlich Tätigen, 22 830 in Praxen. 17,6 Prozent der Internistinnen und Internisten arbeiteten Ende 2022 angestellt im MVZ, Tendenz steigend. Das ist neben der Labormedizin/Mikrobiologie, wo die Anstellung im MVZ regelhaft der Fall ist und der Anteil Angestellter in Facharztlaboren schon vor zehn Jahren über 65 Prozent lag, der höchste Anteil in einer Facharztgruppe.
Fachgruppengleiche MVZ wurden ab 2015 besonders durch die Hausärzteschaft und die internistischen Fachgruppen gegründet. Hieran wird deutlich, dass das MVZ als Versorgungsform dem ärztlichen Bedarf an kooperativer Berufsausübung entspricht. Das gilt auch für die ärztliche Labordiagnostik. Beim diesjährigen SpiFa-Fachärztetag beschrieb der Arzt und Medizinethiker Professor Maio die für ihn geltenden Grundbedingungen ärztlicher Tätigkeit: die Orientierung am Gemeinwohlinteresse und die Hinwendung zum individuellen Patientenbedürfnis mit Berücksichtigung begrenzter Ressourcen. Ärztin und Arzt hätten frei von – insbesondere wirtschaftlichen – Interessen Dritter zu handeln. Das gelte in jeder ärztlichen Tätigkeit, ob selbstständig in eigener Praxis oder angestellt in Praxen, MVZ oder Krankenhäusern. Nach diesem Selbstverständnis arbeitet die Ärzteschaft, unabhängig vom Tätigkeitsort.
In der Debatte um die immer wieder geforderte verschärfende Regulierung von MVZ sollten sich Ärztinnen und Ärzte nicht in „gut und schlecht“ auseinanderdividieren lassen und ohnehin nicht in die Falle tappen, zu glauben, dass eine ärztliche Tätigkeit in einem Angestelltenverhältnis, insbesondere in der ambulanten vertragsärztlichen Tätigkeit, deswegen abzulehnen sei, weil hier angeblich Kapitalinteressen das ärztliche Bemühen um eine bestmögliche Behandlung generell beeinflussen würden. Zu bedenken ist, dass auch jeder selbstständig tätige Arzt darauf angewiesen ist, mit der eigenen Praxis Erträge zu erwirtschaften zur Deckung der eigenen Kosten. Die Diskussion über „gutes und schlechtes Geld in der Medizin“ ist fehlgeleitet und befasst sich nicht mit dem Kern der Herausforderung: Wie können flächendeckend und wohnortnah bei einem Fachkräftemangel, ärztlich wie nichtärztlich, die Qualität und Sicherheit der Patientenversorgung sichergestellt werden? Der pauschalen Vorverurteilung von Investoren und einer bestimmten Art ärztlicher Tätigkeit sollten wir uns nicht anschließen, auch aus Gründen der Glaubwürdigkeit den Patientinnen und Patienten gegenüber, denn diese vertrauen auf die ihrem individuellen Bedürfnis gewidmete ärztliche Zuwendung. Bekanntermaßen ist Patientinnen und Patienten die fachliche Expertise und die Herstellung einer empathischen Patienten-Arzt-Verbindung wichtiger als die Frage der Trägerschaft.
Der Verkäufer entscheidet selbst
2021 waren 4179 MVZ zugelassen, davon 44 Prozent in ärztlicher Hand. Die MVZ-Verteilung in Stadt und Land entspricht etwa der Bevölkerungsverteilung, von einer starken Konzentration in Ballungszentren kann also nicht die Rede sein. MVZ-Gründer bauen wie Inhaber von Einzelpraxen dort Strukturen auf, wo ein Versorgungsbedarf besteht, der auch kostendeckend gestaltet werden kann. Gleichzeitig ist heute die Einzelpraxis weiter die dominante ambulante Versorgungsform. Im Zulassungsrecht werden bei der Nachbesetzungsentscheidung Praxen und MVZ in der Mehrheitshand von Ärzten bevorzugt, so dass MVZ in nichtärztlicher Trägerschaft keine Möglichkeit haben, Sitze „einfach wegzukaufen“. Der Vollständigkeit halber sollte auch erwähnt werden, dass der Verkäufer selbst entscheiden kann, warum wem die eigene Praxis durch Verkauf übergeben wird. Wer hier nur die Angebotskultur kritisiert, lässt damit wichtige Aspekte auf der (ärztlichen) Verkäuferseite außer Acht.
Die aktuellen Forderungen einzelner Stakeholder für die angekündigten Versorgungsgesetze zur weiteren Regulierung von MVZ schütten nicht nur aus der Sicht des Labors „das Kind mit dem Bade“ aus. Dass private Investitionen im ambulanten Versorgungsbereich erforderlich sind, erkennen ebenso die Kostenträger an. Gerade auch mit Blick darauf, dass qualitative medizinisch-fachliche Aspekte für den Erhalt größerer Strukturen zur Sicherung der Versorgung eine hohe Bedeutung haben. Die Förderung des Interesses junger Kolleginnen und Kollegen zur Niederlassung in eigener Praxis ist eine Aufgabe der Ärzteschaft. Zur Vermeidung unerwünschter marktbeherrschender Positionen gibt es schon wirksame Instrumente. Unklar ist, wann jemand als Investor gilt und wie mit „marktbeherrschenden“ Positionen ärztlich geführter Strukturen zu verfahren ist.
Einer Beschränkung der MVZ-Gründung durch räumliche bzw. fachliche Begrenzung gründungsberechtigter Krankenhäuser oder auch Vorschriften zu Umfang und Ausgestaltung des Versorgungsumfanges und auch Vorstellungen zur Abschaffung fachgruppengleicher MVZ sind klare Absagen zu erteilen: Denn diese Vorschläge verschaffen in erster Linie großen privaten Krankenhausträgern unangemessene Vorteile, verhindern medizinisch sinnvolle Kooperationen, den politisch gewollten Wettbewerb und entsprechen darüber hinaus nicht dem Versorgungsbedarf der Bevölkerung. Ohnehin stellt sich die Frage, ob eine Krankenhauserfordernis für die MVZ-Gründung zur Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Versorgung sinnvoll ist. Zudem gibt es mit gesetzlichen Regeln zur Prüfung des Versorgungsumfanges und des Abrechnungsverhaltens wirksame Maßnahmen zur Überprüfung eines plausiblen Leistungsgeschehens.
Mehr Transparenz wäre gut
Das Bundesgesundheitsministerium selbst stellt aktuell in einem Dokument fest, dass es keine Erkenntnisse gibt, aus denen sich negative Folgen aus der Fremdkapitalbeteiligung in der Versorgung ergeben. Insofern sind bei fehlender Evidenz und Erkenntnis isolierte Einschränkungen ausschließlich für eine etablierte Versorgungsform wie das MVZ klar abzulehnen. Dennoch würde auch aus der Sicht des fachärztlichen Labors eine verbesserte Transparenz mit zentraler Zusammenstellung aller notwendigen und meist in den Zulassungsverfahren bekannten Informationen zur Inhaberschaft der Versorgungsstrukturen dazu beitragen, die bisher weitgehend fehlenden Daten zur Beurteilung der diskutierten Fragen zu erarbeiten. Parallel könnte die Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Qualitätssicherung der Leistungserbringung um Indikatoren für die ambulante Versorgung ergänzt werden.
Ein Gastbeitrag von Dr. Michael Müller, Vorstandvorsitzender der ALM (Akkreditierte Labore in der Medizin) und seit 2012 Geschäftsführer der MVZ Labor 28 GmbH, erschienen in der BDI aktuell 05/2023