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Ländliche Versorgung ist besser, aber...

© Heiner Averbeck

Aktuell absolviere ich mein Wahlquartal in einer ländlichen hausärztlichen Praxis. Zwar sind ein Krankenhaus der Grundversorgung sowie einige Fachärztinnen und Fachärzte gut erreichbar, der Maximalversorger um die Ecke, den man aus dem Studium kennt, ist allerdings eine knappe Autostunde entfernt. Für mich prägen die ländliche Versorgung drei Dinge: lange Wege, ein breites Behandlungsspektrum und eine enge Arzt- Patient-Beziehung.

Für Studierende, die wie ich den Großteil ihres Lebens in einer Großstadt verbracht und jeden Weg mit dem Fahrrad gemacht haben, sind die langen Wege anfangs schwer vorstellbar. Ein einzelner Hausbesuch dauert mit Hin- und Rückweg oft über eine Stunde, weswegen Hausbesuche hier einen großen Teil der Tätigkeit ausmachen.

Gleichzeitig ist die Anzahl anderer Ärztinnen und Ärzte in der Region gering, was für eine persönlichere und engere Vernetzung sorgt als man sie in der Großstadt gewohnt ist. Für dringende Fälle hat man meist die Handynummer von Kolleginnen und Kollegen und kann sich kurz beraten oder dringende Termine für Patientinnen und Patienten organisieren. Diese Zusammenarbeit zeigt, was im ambulanten Bereich möglich wäre, wenn Absprache, Vernetzung und vor allem Digitalisierung in der Breite besser würden. Schlechter als in der Großstadt ist die medizinische Versorgung jedenfalls nicht.

Da man stets erste Ansprechperson in allen medizinischen Fragen ist, nimmt die hausärztliche Versorgung auf dem Land ihre Koordinierungsfunktion stärker wahr als in der Großstadt. Das führt einerseits zu einer engeren und vertrauensvolleren Arzt-Patienten-Beziehung und andererseits zu einem deutlich breiteren Behandlungsspektrum als in vielen Großstadtpraxen. Weil realistisch erreichbare Überweisungsmöglichkeiten begrenzt sind, kann und muss man viele Dinge zunächst selbst abklären oder antherapieren. Das ist medizinisch fordernd, aber vor allem spannend, da man sich nicht auf Überweisungsschreiben reduzieren muss. Verlegenheitsüberweisungen oder Einweisungen "zur Abklärung" vermisse ich jedenfalls nicht.

Wer in kleineren Städten oder Gemeinden tätig ist, darf natürlich nicht vergessen, dass man auf der Straße schnell als "der Arzt/die Ärztin" erkannt wird und häufig ganze Familien in mehreren Generationen behandelt. Ich empfinde das als sehr schön, das ist aber sicher nicht für jede/ jeden das Richtige.

Das größte Hindernis an einer zukünftigen Tätigkeit auf dem Land sehe ich in dem Weg dorthin. Es ist ein großer Schritt, seinen Lebensmittelpunkt in eine - gegebenenfalls unbekannte - Region zu verlegen, vor allem wenn man den Beruf des Partners/der Partnerin oder die Kinder in die Rechnung mit einbezieht. Auch wenn mir durch das PJ-Quartal die hausärztliche Versorgung in der Großstadt weniger reizvoll als zuvor vorkommt, kommt diese Erfahrung für mich persönlich leider zu spät. Die Weiterbildung ist geplant, die der Partnerin auch - und so kurzfristig schmeißt man diese Pläne nicht mehr um. Ich bin mir aber sicher, dass Studierende, die diese Erfahrungen früher als ich machen und Netzwerke in den Regionen zum Beispiel in Famulaturen oder Blockpraktika bilden, problemlos für den ländlicheren Raum zu gewinnen sind. Das wird auch ohne Quoten funktionieren, denn an der Tätigkeit liegt es nicht.

Heiner Averbeck absolviert gerade sein Wahlquartal innerhalb des Praktischen Jahres in einer hausärztlichen Praxis auf dem Land.

Erschienen in BDIaktuell 04/2022