BDI aktuell: Herr Dr. Czernik, die aktuelle Umfrage unter BDI-Mitgliedern hat gezeigt, dass die digitale Vernetzung zwischen Praxen und Kliniken alles andere als rund läuft. Über 60 Prozent sagen, dass Befunde und Co nach wie vor per Papier und Fax übermittelt werden. Bei Ihnen im Praxisnetz Münchner Ärzte sieht das anders aus. Wie lautet Ihre Einschätzung, braucht es vernetzte Praxisstrukturen, damit die Kliniken mitspielen?
Dr. Andreas Czernik: Ärztenetze sind Leistungserbringer, die sich der integrierten Versorgung verschrieben haben. Unser Ziel ist es, regionale fach- und sektorenübergreifende Versorgungsangebote zu schaffen ohne, dass die teilnehmenden einzelnen Praxen, BAG und MVZ ihre Selbstständigkeit verlieren. Diese gemeinsam getragene Wertvorstellung führt zu einem größeren Pragmatismus und Agilität bei der Gestaltung von Plattformen für den Austausch von Behandlungsdaten zwischen den teilnehmenden Leistungserbringern.
Kliniken sind grundsätzlich offen für eine Zusammenarbeit mit Ärztenetzen, wenn der Mehrwert für alle Seiten erkennbar ist. Wir schätzen, dass der zunehmende Grad an Ambulantisierung von prä-, intra- und poststationären Behandlungen eine große Chance für eine Kooperation zwischen Kliniken und Ärztenetzen darstellt. Voraussetzung dafür ist eine gemeinsame Plattform für den Datenaustausch.
BDI aktuell: Können Sie uns kurz erläutern, wie der digitale Datenaustausch zwischen den Praxen und Kliniken in Ihrem Netz funktioniert?
Czernik: Wir stehen zurzeit in einer Phase des Umbruchs. Wir haben im letzten Jahr eine für unsere Verhältnisse signifikante Investition in die Weiterentwicklung unseres Datenaustausches getätigt, um zukunftsfähige Funktionalitäten einführen zu können.
Unser Datenaustausch steht nicht in Konkurrenz zur Telematikinfrastruktur (TI). Letztere fokussiert sich bisher auf einen bilateralen Datenaustausch z.B. via KIM. Unsere Plattform fokussiert sich dagegen auf die integrierte Patientenversorgung. Das bedeutet, wir legen Wert darauf, dass alle Praxen, die sich an der Behandlung eines Patienten beteiligen, Zugriff auf den netzinternen Datensatz haben. Voraussetzung dafür ist selbstverständlich die Einwilligung der Patienten.
Wir können zum Beispiel akute bzw. Dauerdiagnosen, Arztbriefe, Medikamentenpläne, Laborwerte, EKGs miteinander austauschen. Außerdem erbringen wir weitere Leistungen im Rahmen von Verträgen mit Krankenkassen für die besondere Patientenversorgung. Das Netzbüro kann auf Knopfdruck anonymisierte Statistiken über unsere Leistungen erstellen.
Mit den Kliniken haben wir bereits im Jahr 2019 mit dem Austausch von Notfalldaten begonnen. Nun sehen wir, dass diese Funktionalität vom Notfalldatensatz der TI abgelöst werden wird. Unser Ziel ist es nun, Entlassbriefe direkt in unser System einzuspeisen, damit alle behandelnden Praxen gleichzeitig über die darin vorhandenen Informationen verfügen.
BDI aktuell: Sie haben es gerade erwähnt, Digitalisierung läuft nicht ohne Investitionen. Herr Dr. Moreano, was müssen Praxen selbst beisteuern bzw. reicht es, sich hier nur auf Pauschalen für die Telematikinfrastruktur zu verlassen?
Dr. Francisco X. Moreano: In unserem konkreten Fall sind die Investitionen durch die einzelnen Praxen auf einen sehr überschaubaren Mitgliedsbeitrag beschränkt. Die Erlöse aus den integrierten Versorgungsverträgen sind auf jeden Fall höher als die Kosten der Mitgliedschaft im Ärztenetz.
Investitionen wurden aus den Mitteln getätigt, die die KV Bayerns für anerkannte Ärztenetze der Stufe I zur Verfügung stellt. Außerdem konnte in fast jedem Jahr eine Erfolgspauschale aus den Verträgen mit den Krankenkassen erwirtschaftet werden. Diese Mittel wurden zum größten Teil in die weitere Entwicklung reinvestiert.
BDI aktuell: Wenn Sie auf Ihre Erfahrung zurückblicken, welche Vorteile bringt die digitale Vernetzung den Praxen, den Kliniken und den Patienten?
Moreano: Gemessen daran, dass wir das Jahr 2023 schreiben und wir eigentlich in Zeiten von künstlicher Intelligenz und Big-Data-Analyse leben, sind die Vorteile noch sehr überschaubar. Sehr begrenzt sind auch die Mittel, die uns zur Verfügung stehen.
Ein verlässlicher und gut strukturierter Datenaustausch bringt Vorteile für alle Leistungserbringer, aber vor allem für die Patienten. Es ist sehr nachvollziehbar, dass jeder Patient, der unter einer komplexen Krankheit leidet, ein starkes Interesse daran hat, dass alle behandelnden Ärzte Einblick in die relevanten Behandlungsdaten erhalten. Mein ältestes Kind litt an einer schweren RSV-Infektion, deren Folgen uns über Jahre begleiteten. Ich kann mich nicht daran erinnern, bei wie vielen Kliniken und Ärzten wir bei null anfangen mussten, um den Verlauf zu beschreiben. Das war keine schöne Zeit.
Grundsätzlich verfügen wir bereits seit langem über alle technischen Mittel für eine flächendeckende Vernetzung. Die Agilität von regionalen Ärztenetzen wird stets größer sein als die der Legislative. Es liegt an uns, Maßstäbe zu setzen.
BDI aktuell: Oft wird ja der Datenschutz als Hürde für Vernetzung vorgeschoben, ist er das wirklich? Und wie haben Sie die Datenschutzfrage in Ihrem Netz gelöst?
Czernik: Die Neigung, jedes Risiko ausschließen zu wollen bzw. versichern zu müssen, liegt wohl in unseren Genen. Der Wunsch nach absoluter Sicherheit steht allerdings in einem unauflösbaren Zielkonflikt mit dem Bedarf an einer höheren Behandlungseffizienz in der Medizin mittels Datenaustausch. Selbstverständlich spielt der Datenschutz eine zentrale Rolle im Ärztenetz. Uns unterstützen sowohl Datenschützer als auch Firmen für Software-Entwicklung, EDV-Support und IT-Sicherheit. Dieses Thema haben wir in die Hände von Experten gelegt.
BDI aktuell: Sie bilden mit der Vernetzung ja weit mehr ab, als es die gesetzlich geplante ePA tun soll. Warum ist es wichtig, dass sich Ärztenetze bzw. Praxen hier kümmern?
Moreano: Die Antwort liegt in den Vorteilen einer arztgeführten integrierten Versorgung. Die einzelnen Module der TI werden unserer Einschätzung nach auch in absehbarer Zeit nicht für fach- und sektorenübergreifende Verbünde ausgelegt sein. Regionale Ärztenetze können zu einer überfälligen Überwindung von Grenzen zwischen Fachrichtungen und Sektoren führen. Neue intersektorale Kooperationsmodelle können im Sinne der Krankenhausreform die Ambulantisierung vorantreiben und einen gesundheitsökonomischen Beitrag leisten.
Das Interview führte Rebekka Höhl von der Ärzte Zeitung, erschienen in der BDI aktuell 04/2023