Ende letzten Jahres wurde die prekäre Lage in der ambulanten Patientenversorgung − insbesondere in der Kinder- und Jugendmedizin – mehr als deutlich sichtbar. Zahllose kleine Patientinnen und Patienten fluteten die Kinderarztpraxen und sorgten für nervöses Handeln des Bundesgesundheitsministers. Dieser verkündete dann sehr rasch, dass die Pädiatrie komplett aus den Budgets herausgenommen werde.
Zunächst aber, dies sorgte für etwas Verwirrung, griff ein Maßnahmenpaket zur kurzfristigen finanziellen Unterstützung der Kinder- und Jugendarztpraxen, welches GKV-Spitzenverband und Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) verhandelten. Infolge der hohen Zahl an Atemwegsinfektionen einigten sich die Vertragspartner im Dezember auf eine finanzielle Unterstützung von zusätzlich 49 Millionen Euro. Für zwei Quartale und jedes Kind mit Atemwegserkrankungen gibt es nun einen Zuschlag, wobei nicht nur die Pädiatrie, sondern auch weitere Arztgruppen wie die Hausärzte, HNO-Ärzte und Pneumologen einbezogen wurden. Der Zuschlag zur Versicherten- und Grundpauschale liegt bei ca. 7,50 Euro.
Wie aus Kassenfeder ...
Seit Mitte Januar liegt außerdem die schriftliche Formulierung für die notwendigen gesetzlichen Regelungen zur Entbudgetierung der kinder- und jugendmedizinischen Leistungen vor. In Form eines fachfremden Änderungsantrags zum UPD-Reformgesetz werden die Krankenkassen zur Übernahme der Mehrleistungen, die in voller Höhe nach den Preisen der Euro-Gebührenordnung zu vergüten sind, verpflichtet. Allerdings immer noch unter dem Eindruck der morbiditätsorientierten Gesamtvergütung (MGV). Da die genaue Höhe des Honorars immer erst zum Quartalsende mit den vorliegenden Abrechnungen der KVen erkennbar wird, sind die Krankenkassen verpflichtet, die fehlende Vergütung in Form von Nachzahlungen zu leisten. Dabei liest sich der Entwurf ganz wie aus der Feder des ehemaligen GKV-Spitzenverband-Mitarbeiters und heutigem Abteilungsleiter der Abteilung 2 im Bundesgesundheitsministerium (BMG), Michael Weller, der scheinbar dafür Sorge tragen möchte, dass die GKV durch diese Lösung nicht zu sehr belastet wird. So fand auch Berücksichtigung, dass die Krankenkassen berechtigt sind, „Überhonorierung“ zurückzufordern.
Inhaltlich sieht der Antrag vor, die zu erwartenden Mehrleistungen im Rahmen des Vorwegabzugs (also vor der Zuweisung der Honorare für die hausärztliche und fachärztliche Versorgung) vom in der jeweiligen KV-Region zur Verfügung stehenden Gesamthonorar abzuziehen. Damit besteht die Gefahr, dass sich die finanziellen Auswirkungen der Entbudgetierung für die Kinder- und Jugendärzte gegebenenfalls auch auf die fachärztliche Versorgung erstreckt.
Eine „echte“ extrabudgetäre Vergütung von kinder- und jugendmedizinischen Leistungen sieht der Entwurf dabei allerdings nicht vor. Vielmehr sollen komplizierte Regelungen lediglich eine volle Vergütung der Leistungen der allgemeinen Kinder- und Jugendmedizin sicherstellen. Das Verfahren ist ein bürokratischer Super-Gau, da in jedem Quartal ermittelt werden muss, wie viele Gelder in der MGV für die Leistung der allgemeinen Kinder- und Jugendmedizin vorgesehen sind und, ob diese Mittel ausreichen, die Leistung vollständig zu vergüten. Hierzu müsste mit den Krankenkassen vorab Einigkeit erzielt werden, wie viel Geld in der MGV für die vorbezeichneten Teilbereiche der Kinder- und Jugendmedizin vorgesehen ist. Die Bestimmung dieses Wertes ist nach dem Gesetzesvorschlag vollkommen unklar. Da sich der Wert auch fortlaufend ändern wird, ist kaum davon auszugehen, dass die KBV mit den Krankenkassen eine einvernehmliche Verständigung erzielen kann. Dies wäre jedoch notwendig, da alle weiteren Auszahlungsvorgaben hierauf aufbauen.
Die Lösung liegt so nahe
Sofern Gesundheitsminister Karl Lauterbach tatsächlich zu seinem Wort steht und den Teilbereich der Kinder- und Jugendmedizin entbudgetieren möchte, bedarf es klarerer Regelungen und keines Bürokratiewahnsinns. Dabei liegt die Lösung so nahe, die MGV wird um die Leistungen der Kinder- und Jugendmedizin einmalig bereinigt; das Morbiditätsrisiko geht anschließend an die Krankenkassen über und diese vergüten die angeforderten Honorarvolumen. Da der ursprüngliche Vorschlag von Lauterbach im Rahmen des Änderungsantrages anscheinend ohne Wissen seiner Koalitionspartner vonstattenging, musste Lauterbach auf Drängen der FDP seinen Antrag kurzerhand wieder einkassieren. Wir alle wissen, dass es nicht das erste Mal ist, dass aus dem BMG unabgestimmte Initiativen in die Welt gesetzt und später kleinlaut wieder eingesammelt werden. Es bleibt daher zu hoffen, dass ein neuer Entwurf die Maßgaben einer echten Entbudgetierung erfüllen wird.
Grundsätzlich sind die Maßnahmen der Entbudgetierung absolut zu begrüßen − zeigen sie doch einmal mehr, dass der Gesetzgeber den Zusammenhang zwischen Budget und Leistungsmenge durchaus verstanden hat. Die Budgetierung verhindert in allen Bereichen der vertragsärztlichen Versorgung, dass mehr Patientinnen und Patienten behandelt werden können. Insofern ist es auch kritisch zu bewerten, dass nunmehr nur einzelne Fachgruppen in die Entbudgetierung einbezogen werden. Dennoch ist es zu begrüßen, das Morbiditätsrisiko zulasten der Ärzteschaft aufzulösen und dorthin zu verlagern, wo es hingehört, nämlich zu den Kassen. Gleichwohl wird auch diese Debatte nicht ohne Gegenwind vonstattengehen, gibt es doch zahlreiche KV-Regionen, in denen in der Vergangenheit Auszahlungsquoten im hausärztlichen Versorgungsbereich deutlich über 100 Prozent möglich waren. Diesen Regionen wird womöglich ein klares Bekenntnis zur Entbudgetierung schwerfallen.
Ein Beitrag von Tilo Radau, Geschäftsführer des BDI, erschienen in der BDI aktuell 03/2023