Von Christoph Fuhr, Ärzte Zeitung
Intersektoral soll sie sein, sektorenübergreifend oder auch sektorengrenzenfrei – gemeint ist eine Versorgung, die Deutschland fit machen soll für die Herausforderungen der Zukunft. Aber was bedeutet „intersektoral“? „Ich habe schon Patienten auf der Station versorgt, ebenso in der Ambulanz, aber noch nie im Aufzug oder im Treppenhaus“, überspitzte Dr. Kevin Schulte, 2. BDI-Vizepräsident, als Moderator eines Podiumsgesprächs über die sektorenübergreifende Versorgung bei der BDI-Delegiertentagung in Wiesbaden.
Die Diskussion über Sektorengrenzen hat ihre Tücken, und die Frage, wie diese Grenzen abgebaut werden können, ist alles andere als unkompliziert. Da waren sich die Diskussionsteilnehmer Dr. Andrew Ullmann, Infektiologe, BDI-Vorstandsmitglied und gesundheitspolitischer Sprecher der FDP im Bundestag, Dr. Norbert Smetak,1. BDI-Vizepräsident und Dr. Christian Höftberger, Präsident der Hessischen Krankenhausgesellschaft (HKG), einig. „Eine bedarfsgerechte Versorgung kann in Zukunft nur dann funktionieren, wenn wir die Sektorengrenzen aufweichen“, stellte Ullmann klar - und erntete keinen Widerspruch.
Die sektorenübergreifende Versorgung soll mithilfe einer sektorengleichen Vergütung für geeignete Leistungen befördert werden, erläuterte er die Pläne der Ampel-Koalition. Um die Verlagerung „bislang unnötig“ stationär erbrachter Leistungen in den ambulanten Bereich zu forcieren, sollen Hybrid-DRG eingeführt werden – bei diesem Vergütungsmodell gehen die Fallpauschalen im Krankenhaus (DRG) und der Vergütungskatalog für ambulant tätige Ärzte (EBM) in einer Mischkalkulation auf. Dieser Ansatz soll „zügig“ umgesetzt werden. „Wir haben explizit die Segmentierung der Krankenhäuser im Koalitionsvertrag aufgeführt, von der Basis- bis hin zur Maximalversorgung“, erläuterte Ullmann, „wir wollen auch die Niederlassung fördern und die ambulante Versorgung verbessern.“
Faire Honorierung
Der BDI fordert schon seit einigen Jahren, auch unter dem Eindruck steigenden Behandlungsbedarfes, die Patientenversorgung insbesondere zwischen den Sektoren effizienter auszugestalten. Hierbei ist eine engere Vernetzung des ambulanten und stationären Sektors notwendig. „Entscheidend ist zunächst einmal, wo der Patient am besten und sicher aufgehoben ist – das kann mal in der Klinik sein, mal in ambulanten Strukturen“, sagte Smetak. Dafür würden aber gleiche Qualitätsvorgaben in beiden Sektoren benötigt. Und er sah weiteren Optimierungsbedarf: „Viele Leistungen würden auch im niedergelassenen Bereich erbracht, wenn sie wirtschaftlich wären.“ Hier gelte es, eine entsprechende Systematik zu schaffen: „Was ambulant sinnvoll möglich ist, muss auch entsprechend honoriert werden.“
Als Folge des medizinischen Fortschritts steige die Anzahl der Fälle, die ambulant erbracht werden können, und das müsse Folgen haben, so Dr. Christian Höftberger. Ambulante Op und stationsersetzende Behandlungen etwa bergen aus seiner Sicht ein hohes Rationalisierungspotenzial, das in einer ambulanten Krankenhausstruktur sehr gut realisiert werden könne, sofern ein Finanzierungsmodell etabliert wird, das den Kliniken einen fairen wirtschaftlichen Rahmen bietet. „Wenn Kliniken allerdings – auch an Weihnachten und Silvester – an sieben Tagen in der Woche 24 Stunden Versorgung garantieren müssen, aber dennoch vergütet werden wie im ambulanten Bereich, dann funktioniert das nicht“, warnte Höftberger.
Das Bismark‘sche System einer strikten Trennung der Versorgungssektoren sei „out of time“, der Patient wisse bei einer Erkrankung heutzutage nicht mehr, wohin er eigentlich gehen solle, meinte Höftberger.
Fallzahl als Maßstab?
Zustimmung kam hier aus dem Auditorium: Zu Bismarcks Zeiten ging ein Patient „zu seinem Arzt, – und das Krankenhaus hatte in diesem System eine eindeutige subsidiäre Funktion“, so Dr. Thomas Schröter. Doch mit der Einführung der DRG und der leistungsbezogenen Vergütung habe sich die Situation im Klinikbereich rasant verändert. Die Fallzahlen seien zum Maßstab geworden, Krankenhäuser hätten in dieser Situation handeln müssen, um wirtschaftlich auf einen grünen Zweig zu kommen, „es entstand ein großer Konkurrenzdruck der Kliniken untereinander“. In der Folge seien Notaufnahmen beworben worden, in Sorge, die eigene Klinik nicht mehr vollzubekommen.
Was tun? Die leistungsbezogene Vergütung müsse umgestellt werden auf ein Vergütungssystem auf Basis einer bedarfsbezogenen Planung, forderte Schröter. Die Kliniken müssten wieder zu subsidiären Versorgern werden. „Das ambulante System ist nun einmal preiswerter als das Kliniksystem“, stellte er klar.
„Wir müssen mutig sein und ein Gesundheitssystem entwickeln, das auch im 21. Jahrhundert funktioniert“, forderte Ullmann abschließend. „Wir benötigen Vernetzung, faire Zusammenarbeit und eine faire Entlohnung der Leistung“, sagte er. Die nötigen Entscheidungen auf diesem langen Weg der Reformen müssten allerdings gut in der Bevölkerung kommuniziert werden.
Erschienen in BDIaktuell 06/2022