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Eine Mentorenbeziehung – ohne Mentor und ohne Beziehung?

Woran liegt es, dass Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung Unterstützung meist nur dann erhalten, wenn sie sie aktiv einfordern? Und wie lässt sich das ändern?

Als die Göttin Athene bemerkt, dass ihr Held Odysseus strauchelt, schlüpft sie immer wieder in den Körper Mentors, um Odysseus mit Rat und Tat zur Seite zu stehen und begleitet ihn ab dann bei allen wichtigen Entscheidungen. So macht sie ihm Mut und rüttelt an seiner Ehre, weil er etwa vor dem Kampf mit den Freiern der Penelope zaudert ... Aus ihrem sinnbildlichen Engagement entwickelte sich der Name Mentor zum allgemeinen Begriff des fürsorglichen, älteren Freundes, der seinen Schützling führt und lehrt.

Wem Odysseus zu weit hergeholt ist, darf das Konzept gerne auf modernere Medien übertragen. Man denke an Yoda und Luke Skywalker, der seinen Schüler konstant begleitet, ihn lehrt, lobt und tadelt.
Die Gemeinsamkeit dieser Mentoren ist eine starke Prozesskontrolle, gepaart mit einer starken Ergebniskontrolle. Man könnte auch sagen, dass sie nicht nur eine Beziehung zu ihrem Schützling hatten, sondern auch strukturiert und konsistent mit ihm voranschritten. Das eine geht nicht ohne das andere und vice versa.

Womit wir im Hier und Jetzt und in unserem Weiterbildungsmonitor 2023 angekommen wären: Anhand der Daten lassen sich interessante Rückschlüsse über die individuelle und strukturelle Ebene der Beziehung zwischen Weiterbilder und Weiterzubildendem ziehen und vor allem, was sie von einer klassischen fruchtbaren Mentoren-Schüler Beziehung unterscheidet. Fast 70 % der Kolleginnen und Kollegen geben an, dass ihre Weiterbildung weitestgehend zufällig abläuft. Nur 26 % geben an, dass vereinbarte Anleitungen zuverlässig und systematisch durchgeführt werden.

Soweit, so bekannt. Über die strukturelle Schwäche in der Weiterbildung floss schon viel literarisches Wasser den Rhein hinunter. Was jedoch überrascht, ist, wenn Supervision explizit erfragt wird, diese zum Großteil erfolgt (50% Zustimmung + 30% teilweise Zustimmung). Wir sehen also durchaus ein versöhnliches Ergebnis, das von einer gesunden und belastbaren Beziehung von Weiterbilder zu Weiterzubildendem zeugt. Erst in der Übertragung auf eine standardisierte und strukturierte Supervision, wenn also die individuelle Ebene verlassen wird, fällt auf, dass erhebliche Defizite bestehen.

Es fehlen Standards

Gleiches sehen wir in Bezug auf kritische Behandlungsverläufe oder gar Behandlungsfehler: 70% der Kolleginnen und Kollegen geben an, dass sie ebendiese ohne Angst vor Sanktionen an- und besprechen können. Ein eindeutiges Indiz für ein starkes Vertrauensverhältnis auf individueller Ebene. Im Gegensatz hierzu sehen wir in der Übertragung auf standardisierte Konzepte wieder einen deutlichen Bruch: Nur 36% geben an, dass unbefriedigende Behandlungsverläufe und Behandlungsfehler kritisch besprochen werden. Es gibt also kein generelles Konzept zur Besprechung von kritischen Verläufen.
Was folgt daraus für den internistischen Nachwuchs und uns als berufspolitische Vertretung?

Um vielleicht ein letztes Mal unser Gedankenexperiment zu bemühen: Man stelle sich nur vor, Athene wäre immer nur dann in Mentor geschlüpft und hätte sich gekümmert, wenn Odysseus dies explizit verlangt hätte. Vermutlich hätte seine Reise ein anderes Ende genommen.

Oder man stelle sich vor, Yoda hätte Luke Skywalker nur dann in der Macht geschult, wenn Luke ihn gerade dazu aufgefordert hätte oder, noch besser, nur wenn dieser überhaupt erreichbar wäre. Er hätte wohl nie das Imperium besiegt oder gar herausgefunden, wer eigentlich sein Vater ist.
Es ist davon auszugehen, dass auch bei den jungen Kolleginnen und Kollegen keinesfalls von einem optimalen Outcome unter diesen Bedingungen ausgegangen werden kann. Dies spiegelt sich letztendlich auch in den unbefriedigenden Ergebnissen anderer Aspekte des Weiterbildungsmonitors wider, bis hin zu erhöhter Burn-out-Gefahr und einem Verlassen des kurativen Systems.

Wir sehen allerdings auch, dass Weiterbilder sehr bemüht sind, den Weiterzubildenden abzuholen, wenn dieser sich bemerkbar macht. Im Gegensatz zu unseren literarischen Beispielen befinden sich unsere Weiterbilder nämlich nicht in einem vollständig beeinflussbaren System, woran es möglicherweise scheitert, den Weiterbildungswillen über punktuelle Aspekte zu erheben. Letztendlich muss unsere Aufgabe sein, dass wir diese individuelle Qualität auf ein System übertragen, dass standardmäßig gute und nachhaltige Weiterbildungsqualität sichert.

Ein erster Ansatz wäre die systematische Aufarbeitung der einzelnen Arbeitsabläufe der am Behandlungsablauf beteiligten Professionen und die Koordination ebendieser, sodass beispielsweise ein gemeinsamer Standardablauf für eine Station den Rahmen geben kann für kultivierte Weiterbildungsräume. Wir brauchen ein System, in dem sich der gezeigte Weiterbildungswille entfalten kann.

Auch, wenn es bei uns nicht um mythische Helden oder die letzte Hoffnung der Jedi-Ritter geht, besteht also dringender Handlungsbedarf, oder um es mit Yodas Worten zu sagen: „Tu es oder tue es nicht, es gibt kein Versuchen.“

Ein Beitrag von Dr. Cornelius Weiß, Mitglied im BDI-Vorstand und Sprecher der Ärztinnen und Ärzte in Weiterbildung, erschienen in der BDI aktuell 07+08/2023