BDIaktuell: Herr Dr. Heinrich, die Ärzteproteste zeigen es: Die Vorstellungen von guter Versorgung klaffen zwischen Politik, Kassen und Praxen aktuell deutlich auseinander. Wie steht es in dieser Gemengelage denn um die Patienten? Was sind aus der Patientenperspektive die größten Probleme in der ambulanten Versorgung?
Dr. Dirk Heinrich: Wichtig für die Patientinnen und Patienten ist ein leichter Zugang zu den Fachärztinnen und -ärzten und damit zu den entsprechenden Untersuchungen. Das heißt, Termine in den Praxen sind ein sehr großes Thema. Es gibt Fachgruppen, wie die Radiologen, die aus Patientensicht nur schwer verfügbar sind. Ganz ähnlich sieht es mit Op-Terminen aus.
Wie passt dieser Bedarf mit der Forderung nach einer Vier-Tage-Woche für Vertragsärztinnen und -ärzte zusammen? Die Folge wäre ja noch weniger Sprechzeit.
Heinrich: Ja natürlich. Offensichtlich will man die ambulante Medizin nicht ausreichend mit Geldmitteln versorgen und sogar Einsparungen vornehmen. Dabei ist man der irren Meinung, das könne bei gleichem Leistungsgeschehen passieren. Dem ist natürlich nicht so: Wenn weniger bezahlt wird, kann auch weniger Leistung erbracht werden. Das wiederum führt dazu, dass Patientinnen und Patienten noch länger auf einen Termin warten. Die Ärztinnen und Ärzte mit der ethischen Keule vor sich herzutreiben, wird nicht mehr ziehen. Die Kolleginnen und Kollegen spielen da nicht mehr mit.
Was müsste denn passieren, damit – so, wie es sich der Deutsche Städtetag wünscht –, mehr Termine zur Verfügung stehen? Wäre es damit getan, nur mehr Geld ins Versorgungssystem zu schieben?
Heinrich: Mehr Geld wäre nicht nur wichtig, es ist kurzfristig die einzige Möglichkeit. So lange, wie wir noch hauptsächlich selbstständig niedergelassene Ärztinnen und Ärzte haben, werden diese auch, wenn es ausreichend bezahlt ist, gerne entsprechend viel arbeiten. Wenn man diese Möglichkeit nicht nutzt, bekommt man eben nur das, was man bezahlt.
Die zweite Möglichkeit – und die werden wir mittelfristig sicher erreichen müssen – ist, dass die Patientinnen und Patienten ihren Teil zum schonenden Ressourcenverbrauch beitragen müssen. Ich persönlich glaube, ohne eine Eigenbeteiligung der Patienten an den Arztterminen wird es nicht gehen. Ein sanfter Einstieg wäre, dafür zu sorgen, dass Patientinnen und Patienten versäumte Termine, die sie nicht absagen, bei uns bezahlen müssen.
Also keine Wiedereinführung der Praxisgebühr, sondern ein direkt auf Termine bezogener Beitrag?
Heinrich: Es müsste eine echte Eigenbeteiligung sein. Es wird teilweise schon sehr rücksichtslos mit der Ressource Ärztin/Arzt umgegangen, weil eben der Arzttermin keinen richtigen Wert hat. Ein Beispiel: Man macht bei drei Kardiologen einen Termin aus, dann hat man die schon mal und dann geht man zu dem Termin, der einem am besten passt. Die anderen Termine werden aber nicht abgesagt. Das muss man abstellen und das geht nur über den Geldbeutel. Allein das würde schon zu mehr Terminen führen – und es würde vielleicht dazu führen, dass die Wertschätzung wieder steigt. Teilweise werden Arzttermine wie ein paar Zalando-Schuhe gehandhabt, die man zurückschicken kann.
Würde ein Primärarztsystem das verbessern?
Heinrich: Dafür ist der Zug längst abgefahren. Wir haben mittlerweile so wenige Hausärzte, dass ein Primärarztsystem letztlich ein Nadelöhr darstellen würde. Es ist ja jetzt schon so, dass die primäre Versorgung ohne die grundversorgenden Fachärztinnen und -ärzte gar nicht mehr geht. Das zeigt, dass die Hausärztinnen und -ärzte am Ende ihrer Kapazitäten angekommen sind, sogar in den Städten. Ein Primärarztsystem würde dazu führen, dass die Hausärzte regelrecht überschwemmt würden und sich dann nur noch mit Überweisungen retten könnten. Keine attraktive Berufsaussicht.
Das Interview führte Rebekka Höhl
erschienen in der BDIaktuell 2/2023