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Die fetten Jahre sind vorbei

© Neumann-Grutzeck

Überlastete Krankenhäuser und Arztpraxen, ausgelaugtes medizinisches Personal, Lieferengpässe und Mangel an Medikamenten. Die Hilferufe aus dem deutschen Gesundheitswesen in den letzten Wochen und Monaten zeigen das Scheitern der bisherigen Gesundheitspolitik.

Jahrzehntelang hat die Politik versucht, Kostensteigerungen im System mit Wettbewerbsmechanismen entgegenzuwirken, die dem Gesundheitswesen eigentlich systemfremd sind. Um die Kosten zu reduzieren und die Effizienz zu steigern, wurden die Leistungserbringer einem primär finanzorientierten Wettbewerb um begrenzte Mittel ausgesetzt – alles in der Hoffnung, dass die medizinische Versorgungsqualität dabei nicht auf der Strecke bleibt. Dieser Ansatz erweist sich jedoch mehr und mehr als verhängnisvoller Trugschluss. Stattdessen stehen Ärztinnen und Ärzte, Pflegekräfte, andere Gesundheitsberufe, Krankenhäuser und Praxen unter ständigem finanziellem Leistungsdruck, bei dem sowohl das Personal selbst als auch die Menschlichkeit und Behandlungsqualität der Patienten zunehmend unter die Räder kommen. Das viel beschriebene Hamsterrad dreht sich immer schneller.

Diese Politik der Fehlanreize hat – zumindest teilweise – so lange funktioniert, wie die Kassen voll waren und strukturelle Fehler im System mit zusätzlichen Mitteln und temporären Anreizen gekittet werden konnten. Vollbeschäftigung und steigende Löhnen haben der Gesetzlichen Krankenversicherung ein dickes Polster beschert. Dass diese Bedingungen in einer alternden Gesellschaft nicht unbegrenzt fortbestehen werden, war eigentlich allen Expertinnen und Experten klar. Trotzdem hat die Politik die Warnungen ignoriert und es auch versäumt, nachhaltige Strukturreformen auf den Weg zu bringen. Jetzt sind die fetten Jahre vorbei und wir steuern mit dem trägen Tanker „Gesundheitswesen“ auf einen Eisberg zu. Die Kollision ist mittlerweile unvermeidbar, allein das Ausmaß ist noch nicht absehbar.

Wenn wir noch retten wollen, was zu retten ist, brauchen wir jetzt einen grundlegenden Strategiewechsel. Anstatt primär auf Kostendämpfung und Mengensteuerung zu setzen, brauchen wir eine Politik, die Qualität, Notwendigkeit und Angemessenheit von medizinischen Leistungen in den Fokus rückt. Nicht der finanzielle Wettbewerb, sondern eine qualitative hochwertige Patientenversorgung sollte die zukünftige Ausrichtung unseres Gesundheitswesens bestimmen.

Gleichzeitig brauchen wir eine offene und ehrliche Debatte darüber, dass wir alle mehr für unsere Gesundheit bezahlen müssen, wenn wir immer älter werden. Wenn wir als Gesellschaft nicht bereit oder in der Lage sind, diesen Preis zu bezahlen, sind Leistungseinschränkungen unvermeidbar. Unabhängig davon ist eine sinnvolle Steuerung der Patientinnen und Patienten im System zwingend notwendig. Politikerinnen und Politiker, die etwas anderes versprechen, handeln unlauter.

Wer im Gesundheitswesen arbeitet, verwaltet aktuell nur noch den permanenten Mangel an Betten, Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften und zuletzt auch Medikamenten.

Es ist aber nicht unsere Aufgabe, den Patienten zu erklären, dass die verfügbaren Mittel nicht mehr ausreichen. Diese Debatte muss politisch geführt, verantwortet und gemeinsam mit ärztlichem Sachverstand umgesetzt werden.

Ihre 

Christine Neumann-Grutzeck
Präsidentin

Erschienen in BDIaktuell 02/2023