Ich falle gleich mit der Tür ins Haus: Die These, dass eine konsequente Digitalisierung des Gesundheitswesens aufgrund der geltenden Datenschutzvorgaben unmöglich sei, ist schlicht falsch!
Ich bin gelernter Informatiker und damit schon von Haus aus ein Fan von gutgemachter Digitalisierung, gerade und vor allem auch im Gesundheitswesen. Digitale Angebote und Lösungen können direkte Vorteile für die Versorgung bieten und daneben auch die Patientenrechte stärken. Aber sie müssen eben gut gemacht sein, damit sie das Vertrauen der betroffenen Bürgerinnen und Bürger in die neuen Verfahrensweisen rechtfertigen. Misstrauen führt zu Vorbehalten und Ablehnung und kann den Erfolg von Innovationen verhindern. Deswegen kommt dem effektiven Datenschutz und der Datensicherheit eine so wichtige Rolle zu.
Mit der pauschalen Formulierung, dass der Datenschutz Innovationen verhindere, wird suggeriert, dass es sich um Gegensätze handelt. Diese erstaunliche Annahme kann aus verschiedenen Gründen nicht überzeugen: Aus rechtlicher Sicht lässt sich feststellen, dass Datenschutz – oder besser der Schutz des Persönlichkeitsrechts als Recht der informationellen Selbstbestimmung – ein Grundrecht darstellt. Die Wissenschaftsfreiheit als Freiheit von Forschung und Lehre ist ebenfalls als Grundrecht geschützt. Die Datenschutzgrundverordnung ist forschungsfreundlich und privilegiert die Nutzung personenbezogener Daten zu Forschungszwecken gegenüber anderen Verarbeitungszwecken.
Ich bin der festen Überzeugung, dass das geltende Datenschutzrecht den angestrebten Digitalisierungszielen überhaupt nicht entgegensteht. Das erkennen wir leicht an den vielen Projekten, die zulässigerweise auf gesetzlicher Basis eine Verarbeitung personenbezogener Daten ermöglichen.
Man kann bei der Digitalisierung des Gesundheitswesens ein Sicherheits- und Datenschutzniveau erreichen, das dem in der analogen Welt mindestens ebenbürtig ist und gleichzeitig neue Möglichkeiten zur Behandlung und Versorgung öffnet. Aber nur, wenn Datenformate, Erfassungsstrukturen und Übermittlungsverfahren miteinander kompatibel sind, ist eine Vernetzung und gemeinsame Nutzung überhaupt möglich. Das ist die eigentliche Herausforderung im Gesundheitswesen, wie sich ja gerade in den Corona-Jahren gezeigt hat.
Wir müssen weder auf medizinischen Fortschritt noch auf den Schutz der Privatsphäre verzichten. Wir müssen beides erfolgreich verbinden.
Ein Gastbeitrag von Prof. Ulrich Kelber, Bundesbeauftragter für den Datenschutz und die Informationsfreiheit, erschienen in der BDI aktuell 04/2023