Im europäischen und internationalen Vergleich werden in Deutschland zu viele medizinische Untersuchungen und Therapien stationär durchgeführt. Dies zu ändern ist im Sinne unserer Patientinnen und Patienten, denen dadurch flexiblere Versorgungsmöglichkeiten eröffnet werden. Das MDK-Reformgesetz sieht hierfür eine Erweiterung des AOP Katalogs (Ambulantes Operieren nach Paragraf 115b SGB V) vor. Hierzu wurde von GKV-Spitzenverband, KBV und der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) ein Gutachten beim IGES Institut in Auftrag gegeben, das mittlerweile vorliegt.
Die Gastroenterologinnen und Gastroenterologen in Deutschland haben in Vorbereitung auf das IGES-Gutachten über ihre Vertretungen, die Deutsche Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS), die Arbeitsgemeinschaft Leitender Gastroenterologischer Krankenhausärzte (ALGK), den Berufsverband der Niedergelassenen Gastroenterologen (BNG) und dem Berufsverband der Gastroenterologen in Deutschland (BVGD) eine Analyse ihrer Leistungen anhand der real entstehenden Kosten durchgeführt, einen neuen, deutlich erweiterten AOP-Katalog und ein Modell zur Schweregraddifferenzierung der Fälle vorgeschlagen und in fünf Stellungnahmen dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG), dem IGES Institut und den Auftraggebern des Gutachtens übermittelt. Zusätzlich wurde ein Gutachten beim Institute of Health Care Business (Prof. Augurzky) in Auftrag gegeben, das mittlerweile veröffentlicht und den Auftraggebern des IGES-Gutachtens und dem IGES Institut zugesendet wurde.
In der Gastroenterologie werden seit vielen Jahren diagnostische und therapeutische Leistungen im großen Umfang erbracht. Aus dem IGES-Gutachten geht hervor, dass dies aktuell mehr als 20% der gastroenterologischen Leistungen betrifft. Darüber hinaus sehen wir Potenzial für eine weitergehenden Ambulantisierung und schlagen vor, 179 statt bisher 55 Leistungen in den AOP-Katalog zu nehmen.
Das Problem der Finanzierung
Einer effizienten Ambulantisierung steht jedoch entgegen, dass viele Leistungen ambulant gar nicht oder unzureichend finanziert werden, beispielsweise die für viele Patienten essenziellen Funktionsuntersuchungen vor Refluxoperationen. Andere Untersuchungen, wie die ERCP, können aktuell ambulant nicht durchgeführt werden, da die notwendigen Strukturen fehlen.
In einer aufwändigen Recherche werden im ersten Modul des IGES-Gutachtens Vergleichsländer analysiert. Allen gemein sind Anreizsysteme zum Anschub der Ambulantisierung, die wir ebenfalls – in Übereinstimmung mit dem Gutachten zur Vergütungssystematik von ambulant zu erbringenden stationären gastroenterologischen Krankenhausleistungen – für notwendig erachten.
Das IGES-Gutachten enthält gute Ansätze zur Neugestaltung des ambulanten Operierens, bleibt jedoch an kritischen Stellen unscharf und berücksichtigt wesentliche Aspekte der Schweregradbestimmung nicht, die einer Ambulantisierung entgegenwirken. Nach dem IGES-Gutachten sollen zukünftig Kontextfaktoren, wie erhöhter Betreuungsbedarf bei Demenz, Frailty oder weitere Komorbiditäten sowie die Komplexität der Eingriffe darüber entscheiden, ob Leistungen stationär durchgeführt werden dürfen. Wir begrüßen prinzipiell den Ansatz, Kontextfaktoren zu berücksichtigen, auch eine Verbesserung bzw. Ablösung der bisherigen GAEP Kriterien kann Vorteile erbringen, sie sind im Detail aber noch zu bearbeiten.
Kritisch ist die fehlende differenzierte Beachtung des Aufwands einzelner Untersuchungen, die auch innerhalb derselben OPS oft erheblich ist. So kann die endoskopische Abtragung eines kleinen Adenoms schnell und ohne erhöhten Aufwand als einfache Prozedur erfolgen. Bei Risikolokalisationen und größerer Größe ist diese Leistung aber sehr aufwändig und komplex. Der wichtige Unterschied zwischen einfachen Prozeduren, die bereits jetzt ambulant abgedeckt werden können, und komplexen Prozeduren, die in Zukunft ambulant erbracht werden sollen, wird im IGES-Gutachten nicht abgebildet.
Dreistufenmodell als Lösung
Komplexe Eingriffe bedürfen eines höheren Zeit- und Personalaufwandes, sie sind aber auch im Zeitaufwand schlechter planbar, sodass größere Pufferzeiten zwischen den Untersuchungen zu kalkulieren und abzubilden sind. Außerdem ist mit Komplikationen zu rechnen, für die Bettenkapazitäten und andere Ressourcen bereitzuhalten sind. Zudem sind nach längeren Narkosen oder invasiveren Eingriffen längere Nachüberwachungszeiten notwendig, wie sie beispielsweise in einzurichtenden Tageskliniken möglich wären. Es darf nicht ein System begünstigt werden, in dem nur einfache kurze Prozeduren ambulant ermöglicht werden.
Ein einfaches Dreistufenmodell unter Einschluss des Zeitaufwands und des Personalaufwands einer Prozedur wäre geeignet, erhöhte Schweregrade zu definieren und dann auch finanziell abzubilden. Ein solches Modell könnte dazu beitragen, die Strukturen für die notwendige Qualität und Sicherheit der Patientenversorgung auch bei komplexen Prozeduren im ambulanten Bereich aufzubauen. Das Augurzky-Gutachten kommt zu dem Schluss, dass eine Differenzierung des Aufwands der Leistungen, abhängig von dort sehr ähnlich benannten prozedur- und patientenabhängigen Faktoren, notwendig ist, um die Strukturen für die Umsetzung einer Ambulantisierung zu schaffen. Ein solches System könnte zu einer „Hybrid-DRG“ führen – mit Vorteilen für Patienten, Leistungsanbieter und Kostenträgern.
Zu fordern ist eine Involvierung der Fachgesellschaften in die Prüfung und Freigabe des neuen AOP-Katalogs. Lediglich bei 4% der Prozeduren wurde dieser fachliche Rat eingeholt. Ebenfalls sollten die Fachgesellschaften bei der weiteren Ausgestaltung der noch nicht klar beschriebenen Kontextfaktoren eingebunden werden. Die in Praxen und Kliniken tätigen Fachärztinnen und Fachärzte sorgen sich um die Versorgung ihrer Patienten und befürchten Versorgungsengpässe für komplexe und mit Risiken behaftete Eingriffe, die das IGES-Gutachten derzeit nicht gänzlich ausräumt.
Prof. Dr. med. Dipl. Kfm. Dipl. Volksw. Frank Lammert, DGVS Präsident; Prof. Dr. med. Thomas Frieling, Vorsitzender der ALGK, DGVS Kongresspräsident 2022; Prof. Dr. med. Ludger Leifeld, Vorsitzender der DGVS Kommission Qualität; PD Dr.med. Petra Lynen Jansen, DGVS Geschäftsführerin; Prof. Dr. med. Jochen Labenz, Vorsitzender des BVGD; Dr.med. Tappe, 1.Vorsitzender des BNG
Erschienen in BDIaktuell 06/2022