Brief und Fax, die Kommunikationsmittel der Achtzigerjahre, sind auch heute im Gesundheitswesen noch Mittel der Wahl. Dies ist einer der Kernbefunde der kürzlich durchgeführten Digitalisierungsumfrage des BDI. Unisono, egal ob ambulant oder stationär tätig, vertraten die befragten Kolleginnen und Kollegen die Auffassung, dass eine effiziente, digitale Kommunikationsschnittstelle zwischen den verschiedenen Versorgungsbereichen die wichtigste aller Digitalisierungsmaßnahmen für unsere Patientinnen und Patienten wäre.
Bei all der Rückständigkeit ist zumindest eines beruhigend: Diese Erkenntnis scheint auch der Gesundheitsminister in der Friedrichstraße erlangt zu haben. Dies lässt zumindest die BMG-Digitalisierungsstrategie vermuten, die Karl Lauterbach jüngst gemeinsam mit Professor Michael Hallek, dem frisch gewählten Vorsitzenden des Sachverständigenrates, vorgestellt hat. Mit Hilfe von zwei getrennten Gesetzesvorhaben sollen sowohl der kommunikative Weg im Gesundheitswesen revolutioniert werden als auch Tür und Tor für die Versorgungsforschung in Deutschland geöffnet werden.
Was ist konkret geplant? Einerseits soll die im Koalitionsvertrag verabredete Opt-out-Regelung nun gesetzlich umgesetzt werden und die Einführung der elektronischen Patientenakte (ePA) endlich beflügeln. Das erklärte Ziel: Vier von fünf Bürgern sollen bis 2025 eine eigene ePA haben. Ferner plant der Minister die vollständige Verstaatlichung der gematik, um die Ausgestaltung der Telematikinfrastruktur (TI) komplett in staatlichen Griff zu bekommen. Weiterhin – und dies ist vermutlich das entscheidende Vorhaben – sollen die Rechte des Bundesdatenschutzbeauftragten sowie des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) geschliffen werden. Konkret soll beiden Akteuren ihr Vetorecht zugunsten eines Beratungsrechtes genommen werden. In diesem Zusammenhang ist interessant, dass die absolute Mehrheit der befragten Internistinnen und Internisten die Auffassung vertritt, dass die aktuelle Auslegung des Datenschutzes eine konsequente Digitalisierung des Gesundheitswesens schlichtweg unmöglich macht. Offenbar stört man sich auch in der Friedrichstraße an Professor Kelber, dem aktuellen Bundesdatenschutzbeauftragten, der in der Vergangenheit wiederholt gegen die Einführung einer Opt-out-Regelung für die ePA votiert hat.
Es ist zu bezweifeln, dass die komplette Verstaatlichung der gematik ein wirklicher Gamechanger wird. Bereits Jens Spahn hatte in seiner Zeit als Gesundheitsminister den Bund qua Gesetz zum Mehrheitseigner der gematik gemacht und dem BMG damit weitgehende Durchgriffsrechte verschafft. Diejenigen, also die Vertragsärzteschaft, die Kliniken und die Krankenkassen, zu marginalisieren, die schlussendlich allen Visionen, Gesetzen und Verordnungen zu Leben verhelfen müssen, lässt vermutlich nur Staatsgläubige frohlocken. Es ist nur zu hoffen, dass das BMG aus dem Spahnschen Stil des brachialen Durchregierens gelernt hat. Erneut dysfunktionale Lösungen mit aller Gewalt in die Versorgung zu bringen, würde den von Lauterbach bei der Ärzteschaft diagnostizierten „Digitalisierungsdefätismus“ nur verfestigen.
Erfrischend sind die Äußerungen von Hallek, der zurecht herausgestellt hat, dass eine Digitalisierung des Gesundheitswesens am besten durch positive Anreize zu erreichen ist. Wandel durch Anreize anstatt durch Bürokratie und Druck – hoffen wir, dass Lauterbach auf seine Wissenschaftler hört. Siehe auch Seiten 6 und 7
Ein Beitrag von PD Dr. med. Kevin Schulte, 2. Vizepräsident des BDI, erschienen in der BDI aktuell 04/2023