StartseitePresseKontakt

| Interview

„Aufschieben geht nicht – wir brauchen jetzt eine Strukturreform!“

Jünger, weiblicher, digitaler: Das Gesundheitswesen verändert sich so stark wie nie zuvor. Da ist es wichtig, dass Berufsverbände nicht bloße Mahner, sondern Taktgeber sind. Wie das gelingt, erläutert das BDI-Präsidium.

© Sophie Schüler / Ärzte Zeitung

BDI: Seit rund eineinhalb Jahren stehen Sie gemeinsam an der Spitze des BDI. Ein guter Zeitpunkt für eine Zwischenbilanz: Was haben Sie von dem, was Sie sich vorgenommen haben, geschafft?

Christine Neumann-Grutzeck: Unser Ziel war es, den Verband ein bisschen jünger, weiblicher und auch moderner zu gestalten. Ich glaube, da haben wir schon eine ganze Menge geschafft. Wir haben viele Angebote für Jüngere und für Frauen geschaffen. Wir versuchen, sie besser in die Gremienarbeit einzubeziehen. Wir haben die Gremienarbeit aber auch insgesamt offener gestaltet. Da hat uns die Pandemie sicherlich ein bisschen in die Karten gespielt, weil wir es geschafft haben, durch Online-Angebote an vielen Stellen mehr Mitglieder zu mobilisieren. Es ist einfach attraktiver geworden, mitzuarbeiten.

Dr. Norbert Smetak: Das sehe ich auch so: Es ist uns gelungen, mehr junge Mitglieder und mehr Frauen für den BDI zu gewinnen. Wir haben eine Stabilität der Mitgliederzahlen erreicht. Das war uns wichtig, weil wir den BDI künftig noch stärker machen wollen, als er schon ist.

Schauen wir in die Zukunft: Was wollen Sie als nächstes angehen?

Neumann-Grutzeck: Wichtig ist natürlich, dass wir das, was wir gestartet haben, fortführen. Dass wir schauen, an welchen Stellen war es besonders erfolgreich und was können wir in andere Bereiche ausweiten. Zudem war es in der Pandemie nur bedingt möglich, persönliche Kontakte zu knüpfen. Wir haben durch die Bundestagswahl viele neue Gesichter und Akteure in der Gesundheitspolitik. Wir sind dran, hier persönliche Treffen und Gespräche zu organisieren.

Dr. Kevin Schulte: Verbandsintern haben wir viel getan: Der BDI wurde umbenannt und wir haben die Strukturen geöffnet. Aus meiner Sicht sind noch zwei Dinge zu tun. Erstens, den digitalen Auftritt des Verbandes noch dynamischer zu gestalten. Das liegt uns unglaublich am Herzen. Wir haben uns ja als Auftrag gesetzt, den Verband in die Neuzeit zu führen und darüber hinaus – deswegen steht es auf unserer Agenda, diesen Weg weiter zu beschreiten. Zweitens: In der Pandemie hat sich mit dem digitalen Fortbildungsformat ein neues Format entwickelt. Auch das wollen wir weiter ausbauen.

Sie haben es gerade erwähnt: Ein wichtiger Meilenstein war sicher die Umbenennung des Verbandes in Berufsverband Deutscher Internistinnen und Internisten. Da waren Sie in der Verbandswelt Vorreiter. Was hat das mit dem BDI gemacht?

Neumann-Grutzeck: Der Name allein verändert natürlich nichts, aber er ist ein wichtiger Bestandteil, um die Sichtbarkeit von Frauen möglich zu machen. Und es war eine ganz wichtige Botschaft, dass wir alle repräsentieren wollen. Wir haben ja auch die Satzung geändert. Theoretisch hätte es mich gar nicht geben können, weil die frühere Satzung nur einen Präsidenten vorsah. Insofern sind es äußere Zeichen, nun geht es darum, dass wir diese innerverbandlich auch leben. Da sind wir dran …

Schulte: Im Normalfall heißt es ja, Sprache schafft Wirklichkeit. Bei uns war es anders herum: Wirklichkeit hat Sprache geschaffen. Ich finde das extrem wichtig, weil Sprache ein Signal ist und Wahrnehmung verändert. Wir hatten das Glück, dass es durch die neue Präsidentin völlig offensichtlich zu einer neuen Wahrnehmung gekommen ist, die den Verband deutlich verändert hat. Wenn ich da nur an den Arbeitskreis Internistinnen denke, den Christine auf den Weg gebracht hat. Das sind wahnsinnig gut besuchte Sessions, in denen 70, 80 Kolleginnen engagiert diskutieren. Das wäre vor drei Jahren undenkbar gewesen.

Smetak: Hier besteht auch ein Konsens mit „den alten weißen Herren“. Die Veränderung wird von allen mitgetragen. Es sind keine internen Gräben entstanden, ganz im Gegenteil, als Verband hat uns dieser Schritt eher noch mehr geeint, weil nun alle mitgenommen werden.

Warum ist eine solche Austauschplattform für Internistinnen denn so wichtig?

Smetak: Auch hier geht es, glaube ich, um das Startsignal. Hier werden viele Fragestellungen und Themen diskutiert, die früher so im Verband gar nicht wahrgenommen wurden. Da braucht es eine Grundplattform, um diese Themen überhaupt erst einmal zu definieren. Dabei ist es wichtig, dass Internistinnen erst einmal für sich agieren können – ohne männlich dominierte Einflüsse von außen.

Neumann-Grutzeck: Es geht in der Tat darum, ein Stück weit ein weibliches Netzwerk im BDI zu bilden. Denn manchmal ist es – nicht nur für die jungen Ärztinnen – attraktiver, sich erst einmal bei so einem Arbeitskreis im Verband zu orientieren, bevor man sich gleich in einem anderen, vielleicht auch Männer-dominierten Bereich engagiert. Und die Themen, die wir in dem Arbeitskreis aufgreifen, sind ja tatsächlich solche, die Frauen ganz besonders interessieren. Es haben sich aber auch schon Männer zu Sessions angemeldet.

Merken Sie denn schon, dass sich mehr Ärztinnen im Verband aktiv engagieren?

Neumann-Grutzeck: Auf jeden Fall. Ich motiviere die Frauen auch sehr, mitzumachen, sich zu engagieren. Sich gegenseitig in diesem Netzwerk zu unterstützen. Insgesamt soll der Arbeitskreis aber natürlich kein isolierter Bereich bleiben, sondern in den ganzen Verband ausstrahlen.

Schulte: ... das gelingt auch schon. Wir hatten ja im vergangenen Jahr in „BDI aktuell“ unter dem Titel „Old Boys Club“ ein Interview mit jungen Kollegen veröffentlicht. Mich hat begeistert, dass diese Selbstkritik als offene Diskussionskultur im Verband wahrgenommen wurde. Selbstkritik ist eine Eigenschaft, die jedem gut ansteht, aber ich glaube, sie steht ärztlichen Berufsverbänden besonders gut an.

Ein anderes Thema, das den Verband umtreibt, ist die Benachteiligung bei der Förderung der hausärztlichen Versorgung. Die Internisten stellen gut 30 Prozent der Hausärzte, dennoch werden sie in der Förderung nicht überall gleichberechtigt. Wo stehen wir aktuell in Sachen Landarztquote und wo wollen Sie noch hin?

Neumann-Grutzeck: Wenn man schon eine Landarztquote aufsetzt, weil man meint, sie ist sinnvoll, um im ländlichen Raum die hausärztliche Versorgung zu sichern, dann müssen wenigstens alle Hausärztinnen und Hausärzte berücksichtigt werden. Die Rechnung, Allgemeinarzt ist gleich Hausarzt, ist ein grober Fehler. Sie haben es ja gesagt, 30 Prozent der Hausärztinnen und Hausärzte sind Internisten. Alleine mit den Allgemeinmedizinern wird sich das Problem mangelnder hausärztlicher Versorgung also nicht lösen lassen. In Hessen haben wir es etwa geschafft, dass der Gesetzesentwurf doch noch geändert wurde und Internisten nun in die Quote mit einbezogen werden.

Was die Förderung angeht, sind wir leider noch nicht da, wo wir hinwollen. Die Weiterbildung für Allgemeinmediziner wird gefördert, die für hausärztliche Internisten aber nicht. Das wäre ein wichtiger Part, um den Mangel, den wir übrigens nicht nur auf dem Land haben, aufzufangen.

Smetak: Wir werden nicht müde zu erwähnen, dass Weiterbildung in den Praxen notwendig ist. Wir gehen da noch weiter und sagen, Weiterbildung muss sowieso extern finanziert werden. Im Moment läuft es so, dass die Weiterbildungsförderung zur Hälfte von den Kassen, zur Hälfte von den KVen getragen wird. Zumindest In manchen Regionen, z.B. in Baden-Württemberg, ist es so. Wir werden den Mangel auch im Facharztbereich bekommen, das ist nur eine Frage der Zeit. Neben der Entbudgetierung fordern wir daher die Förderung von außen, damit die Weiterbildung im niedergelassenen Bereich nicht auch noch behindert wird.

Nicht die einzige Baustelle unseres neuen Gesundheitsministers, auch im stationären Sektor besteht akuter Reformbedarf. Was sind aus BDI-Sicht denn hier die größten Herausforderungen? Und welche Lösungsansätze sehen sie?

Schulte: Aus unserer Sicht ist dringend eine Reform der Krankenhausplanung und des DRG-Systems notwendig, dazu hatten wir ja auch ein Positionspapier formuliert. Wir haben als Ad-hoc-Maßnahme vorgeschlagen, auch die Arztkosten aus den DRG auszuklammern, um rasch den Druck aus dem System zu nehmen. Wenn ich mich in der Klinik so umschaue, wie es den Kolleginnen und Kollegen im letzten Jahr ging und aktuell geht, dann glaube ich, sind solche Ad-hoc-Maßnahmen unbedingt notwendig. Alles was im letzten Jahr passiert ist, nicht nur Corona, war wahnsinnig anstrengend und hat die Situation noch mal verschärft.

Im Koalitionsvertrag sind solche Ad-hoc-Maßnahmen zwar drin, diese beschränken sich aber auf die Pädiatrie, die Geburtshilfe und die Notfallversorgung. Das ist richtig, aber zu wenig. Es ist nicht vernünftig, dass jetzt erst eine Kommission eingerichtet wird, die dann gemächlich Konzepte entwickelt, um dann irgendetwas an Reformprojekten anzustoßen. Es ist notwendig, dass rasch was passiert, das die internistischen Abteilungen entlastet.

Smetak: Wir haben das Problem, das unser Gesundheitsminister diese Dinge offenbar nicht oben auf der Prioliste sieht. In seinem Arbeitspapier taucht das nur am Rande auf. Eine richtige Reform sehe ich da nicht. Dabei darf man die Krankenhausplanung nicht isoliert betrachten, sondern nur im Zusammenspiel mit der ambulanten Versorgung.

Also ein Minister, der im Krisenmodus feststeckt?

Schulte: Naja, die Gesetzesvorhaben, die geplant werden, sind in keinster Weise smart. Es ist eher ein plumpes Vorgehen, man spielt Feuerwehr. Man hat bei den Pharmakosten relativ eindeutig gespart, man hat an vielen Stellen versucht, Mittel vom Bund zu besorgen. Aber es sind alles keine Gesetze, die versuchen, eine Strukturverbesserung zu erzielen.

Neumann-Grutzeck: Da fehlt auch ein bisschen die Vision eines Gesundheitsministers. Wir sehen einen Minister, der ganz rührig aktiv ist und sich um die akuten Krisen kümmert – auch in den sozialen Medien, den Talkshows. Was fehlt und was wir uns sehr erhofft haben von einem ärztlichen Kollegen als Minister, dass jetzt mal wirklich eine übergeordnete Planung stattfindet und ein kluger Blick auf das Gesundheitssystem und die Defizite erfolgt.

Es wird Zeit, dass Lauterbach aus dem Krisenmodus in den Modus der Zukunftsvision umschaltet.

Das Interview führte Rebekka Höhl, Ärzte Zeitung

Erschienen in BDIaktuell 05/2022